Mehr Demokratie wagen!
Führungskritik und Perspektiven einer demokratischen Erneuerung.
Die katholische Kirche ist eine der ältesten und einflussreichsten Institutionen der Weltgeschichte. Ihr monarchisch geprägtes Leitungssystem, das auf der absoluten Autorität von Bischöfen und des Papstes basiert, hat über Jahrhunderte hinweg Einheit und Beständigkeit gewährleistet. Zugleich birgt dieses System jedoch erhebliche Risiken: Machtmissbrauch, Intransparenz und eine zunehmende Entfremdung vom Kirchenvolk. Diese Struktur steht im Widerspruch zur Idee einer Kirche, die dem Wohl ihrer Mitglieder dient und deren Glaubensgemeinschaft sie repräsentieren soll.
Analysieren wir also die absolutistische Stellung der Bischöfe und des Papsttums, die daraus resultierenden Probleme und versuchen eine Skizze für eine demokratischere Führungsstruktur, bei der die Macht weitgehend vom Kirchenvolk ausgeht. Lasst uns also mehr Demokratie wagen.
Inhalt
Folgenschwere Irrtümer
Die Stellung des Papstes mit absolutem Führungsanspruch ist erst bei Papst Leo I. (440-461 n. Chr.) nachgewiesen. Die Urkirche kam noch weitgehend ohne hierarchische Strukturen aus. Dass Päpste auch irren können, zeigt die zweitausendjährige Geschichte: Da gab es die Mätressen-Päpste, einige Gegenpäpste und „Problempäpste“. Dazu zählen Päpste, denen persönliches Fehlverhalten, häretische Lehre oder verhängnisvolle Entscheidungen nachgesagt wurden.
Die Vorrangstellung des Papstes wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weiter gefestigt, zuletzt nach dem 1. Vatikanum (1869-1870) u.a. mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes. Dies führte u.a. zur Abspaltung der altkatholischen Kirche.
Der absolute Machtanspruch des Papstes zielt vermutlich auf die Erhaltung der Einheit der Kirche. Diese Prämisse hat jedoch einen hohen Preis: Sie hat in der Vergangenheit zur Teilung bzw. Abspaltung geführt und aktuell dürfte die absolutistische Stellung von Papst und Bischöfen mittelbar zu den Hauptursachen des Niedergangs der katholischen Kirche in Deutschland gelten.
Das Auswahlverfahren – Geistiger Inzest
Papst Franziskus bemängelte nach seinem Amtsantritt den geistigen Inzest seiner Priester und Bischöfe. Allerdings ist es nur bei Worten geblieben. Frischer Wind durch Laien, andersdenkende, durch Frauen wird abgeblockt.
Die Diözesen melden regelmäßig Priester nach Rom, die für das Bischofsamt als fähig und würdig befunden werden. Im „Hauptquartier“ wird jeder Kandidat akribisch überprüft. Deuten seine Lebens- oder Amtsführung, seine Predigten oder öffentlichen Verlautbarungen auf Zweifel an der uneingeschränkten Zustimmung zu den Dogmen der Amtskirche hin, fällt der Kandidat durch das Raster oder man verlangt eine „Richtigstellung“. Schlägt das „Dikasterium für die Bischöfe“ schließlich einen Kandidaten für die Bischofsweihe vor, liegt die letzte Entscheidung beim Papst.
Bischofsernennungen prägen nicht nur eine Diözese. Sie haben großen Einfluss auf ganze Länder. So wurden unter den beiden extrem konservativen Päpsten Wojtyla und Ratzinger Bischöfe und Kardinäle mit ebensolcher Gesinnung ernannt. In den USA beispielsweise wurde die Bischofskonferenz auf diese Weise mehrheitlich konservativ. Wenn man bedenkt, dass die Bischöfe eines Landes mit gemeinsamer Stimme auch Einfluss auf die Politik nehmen, werden die fatalen Folgen konservativer Kirchenpolitik deutlich.
Hat ein Kandidat die Hürde genommen, muss er sowohl bei der Bischofsweihe wie auch bei Amtsantritt einen Treueeid auf den Papst und die Kirche zu leisten. Dieser Treueeid ist wohl der Grund dafür, dass sich eigentlich reformwillige Bischöfe scheuen, sich der römischen Kurie und dem Papst zu widersetzen. Ob ein solcher Eid gültig ist, steht in Frage, denn Dekrete des Papstes können der Kirche auch schweren Schaden zufügen. Wem ist der Bischof dann verpflichtet?
Die absolute Macht der Bischöfe
Die katholische Kirche ist hierarchisch organisiert, mit dem Papst an der Spitze und den Bischöfen, die in ihren Diözesen nahezu uneingeschränkte Macht ausüben. Diese Struktur basiert auf der Vorstellung, dass die Autorität der Kirchenführer direkt von Gott stammt (!) und daher unantastbar ist. Das Geschwür des Klerikalismus wird so genährt und zeigt sein hässliches Gesicht. Bischöfe sind in theologischen, administrativen und finanziellen Fragen oft allein entscheidend und unterliegen keiner unabhängigen bzw. wirksamen Kontrolle.
Diese unkontrollierte Macht birgt jedoch erhebliche Probleme:
- Machtmissbrauch und Skandale: Die unkontrollierte Macht einzelner Bischöfe hat immer wieder zu Skandalen geführt, darunter die Vertuschung von Missbrauchsfällen, zweifelhafter Umgang mit Finanzen und autoritäre Entscheidungen, die das Vertrauen der Gläubigen erschüttern.
- Intransparenz: Entscheidungen werden oft hinter verschlossenen Türen getroffen, ohne für die Gläubigen nachvollziehbar begründet zu werden. Dies führt zu einem Vertrauensverlust in die kirchliche Leitung.
- Fehlende Partizipation: Die Gläubigen, die eigentliche Basis der Kirche, haben kaum Einfluss auf Entscheidungsprozesse. Während auf Gemeindeebene Laien in Verwaltungsstrukturen eingebunden sind, bleibt die endgültige Entscheidung stets in priesterlicher Hand. Auf Diözesanebene ist die Situation noch restriktiver, was zu Resignation und Frustration unter engagierten Kirchenmitgliedern führt. Die Folge sind extrem frustrierte ehrenamtlich aktive Kirchenmitglieder, die ihr Amt resigniert aufgeben, weil ihre Wünsche und Ideen nachhaltig ins Leere laufen.
- Reformunwilligkeit: Die starre Hierarchie, der Treueeid und die Konzentration der Macht erschweren dringend notwendige Reformen und verstärken die Entfremdung der Kirche von einer sich wandelnden Gesellschaft.
Mehr Demokratie wagen – ein denkbares Modell
Eine demokratische Neuausrichtung könnte die Kirche erneuern, indem Transparenz, Rechenschaftspflicht und Partizipation gefördert und eben nicht mehr auf dem Altar der Einheit geopfert werden. Dies würde nicht nur die Bindung der Gläubigen stärken, sondern auch dringend notwendige Reformen erleichtern. Nachfolgend wird ein Modell skizziert, das diese Prinzipien umsetzt:
- Synodale Entscheidungsstrukturen: Synoden könnten als parlamentarische Organe auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene etabliert werden. In diesen sollten Geistliche und Laien gleichberechtigt Entscheidungen treffen. Dabei wäre sicherzustellen, dass die Rolle der Bischöfe beratend bleibt, um eine Dominanz der Hierarchie zu vermeiden. Erfahrungen aus dem „Synodalen Weg“ in Deutschland zeigen, dass Entscheidungen ohne bindende Wirkung nicht zielführend sind.
- Wahl der Bischöfe auf Zeit: Bischöfe sollten von den Gläubigen ihrer Diözese gewählt und auf Zeit ernannt werden. Dies würde ihre Legitimität stärken und eine stärkere Verbindung zur Basis schaffen. Bei Versagen oder Reformunwilligkeit könnten solche Bischöfe einfacher abgelöst werden. Sicher ist bei diesem Modell die Gefahr groß, dass Gläubige sich einen „bequemen“ Bischof wählen, also einen, der nicht weh tut, nicht fordert und dem Kirchenvolk in Politikermanier nach dem Mund redet. Eine „zweite Instanz“ wäre also notwendig.
- Unabhängige Kontrollinstanzen: Laiengremien könnten eingeführt werden, um die Entscheidungen der Bischöfe zu überwachen. Solche Kontrollmechanismen müssen umfassende Einsichts- und Eingriffsrechte besitzen, um effektiv zu sein. Derzeit sind sie bei weitem noch nicht ausreichend. Möglich wäre z.B., den Diözesanrat stärker durch Laien zu besetzen und ihn unabhängiger zu machen.
- Transparenz und Rechenschaft: Finanz- und Verwaltungsentscheidungen sollten offen dokumentiert werden. Jährliche Berichte der Bischöfe über ihre Arbeit könnten von den Gläubigen diskutiert und bewertet werden.
- Gleichberechtigte Teilhabe: Frauen und unterrepräsentierte Gruppen sollten gleichberechtigt in alle Führungs- und Entscheidungsstrukturen integriert werden. Dies umfasst auch die Öffnung der Weiheämter für Frauen.
Herausforderungen und Chancen
Die Umsetzung eines demokratischen Modells in der katholischen Kirche wird auf erhebliche Widerstände stoßen. Viele Mitglieder in der Hierarchie werden ihre Machtposition nicht freiwillig aufgeben. Konservative Stimmen könnten argumentieren, dass solche Reformen die Glaubenslehre verwässern oder die Einheit der Kirche gefährden.
Es wird künftig kaum noch möglich sein, eine einheitliche Linie in den unterschiedlichsten Regionen der Weltkirche aufrecht zu erhalten. Daraus folgt, dass es den Bischofskonferenzen des jeweiligen Landes obliegen muss, die notwendigen Reformen mehrheitlich zu beschließen und konsequent, mutig und sehr, sehr schnell umzusetzen. Auf die Zustimmung der römischen Kurie können wir nicht warten. Dem Papst bleibt letztlich die Entscheidung: Schisma oder Duldung. Für die deutschen und manche westeuropäischen Kirchen sehe ich nur zwei Möglichkeiten: Umfassende Reform oder Untergang und Neugeburt, dann aber unabhängig von Rom.
Angesichts der Alternativen ist mir eine beherzte Reaktivierung lieber als eine schon in vollem Gang befindliche Deaktivierung der katholischen Kirche in Deutschland. Die Chancen durch Reformen liegen auf der Hand:
- Vorbildfunktion: Eine transparente und partizipative Struktur könnte die Kirche glaubwürdiger machen und als Vorbild für andere gesellschaftliche Institutionen dienen. Gleichzeitig könnte die Kirche zeigen, wie Tradition und Fortschritt miteinander vereinbar sind.
- Wiedergewinnung von Vertrauen: Echte Reformen könnten das erschütterte Vertrauen vieler Gläubiger wiederherstellen und neue Mitglieder gewinnen.
- Anziehungskraft auf junge Menschen: Eine modernisierte Kirche könnte insbesondere junge Menschen ansprechen, die in der starren Hierarchie keinen Platz für ihre Anliegen sehen.
- Stärkung der Gemeinschaft: Die Einbindung des Kirchenvolks in Entscheidungsprozesse stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Spüren Gemeindemitglieder, dass sie gehört werden und ihre Ideen umsetzen dürfen, entsteht Lust statt Frust. Dies kann ungeahntes Potential an Engagement und Kreativität freisetzen.
Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass einige Entwicklungen, wie der Mitgliederschwund aufgrund sinkender Geburtenraten, außerhalb der Kontrolle der Kirche liegen. Auch Neugeborene werden nicht mehr so selbstverständlich getauft wie vor 50 Jahren noch und damit fehlen sie künftig als Kirchenmitglieder und Kirchensteuerzahler. Umso wichtiger sind umfassende Reformen, die das Potenzial der bestehenden Gemeinschaft ausschöpfen.
Fazit
Die monarchisch geführte katholische Kirche steht vor einem Scheideweg. Die Beibehaltung absolutistischer Strukturen birgt das Risiko weiterer Skandale und eines anhaltenden Mitgliederschwunds. Ein demokratisches Modell könnte hingegen die Kirche zukunftsfähig machen, ihre moralische Autorität stärken und ihre Glaubensgemeinschaft revitalisieren. Die Zeit ist schon lange reif für eine Erneuerung, die alle Gläubigen einbindet und der Kirche eine neue Strahlkraft verleiht.
Ein mutiger Reformkurs würde die katholische Kirche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit als moderne, glaubwürdige und inklusive Institution positionieren – eine Kirche, die Tradition und Fortschritt miteinander vereint und der Gesellschaft als moralische Instanz dient. Und ich bin überzeugt, dass eine grundlegende Reform auf allen Ebenen nicht zu lasten der Lehre Jesu Christi gehen muss. Im Gegenteil: Die Kirche muss sich wieder auf Jesu Beispiel besinnen!
Ich bin mir durchaus bewusst, dass obige Ideen futuristisch klingen, für manche gar revolutionär. Befassen wir uns trotzdem ernsthaft damit und gehen wir es an – unserer Kirche zuliebe.
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