Segeln

Gedanken zum Tod

SegelnVor einigen Jahren war ich als Co-Skipper an der Überführung einer Segelyacht von Martinique in der Karibik nach Portugal beteiligt. Von der ursprünglich fünfköpfigen Crew blieben drei Männer übrig, die letztlich das Abenteuer wagten. Während der Überfahrt führte ich ausführlich Tagebuch, das ich später in einem Buch zusammenfasste.

Auszug aus “Besinnung unter Segeln”

Mir geht gerade durch den Kopf, wie besorgt, ja ängstlich viele meiner Verwandten und Freunde waren, als ich ihnen davon erzählte, dass ich über den Atlantik segeln will. „Hast Du keine Angst?“, war die erste Reaktion. „Da gibt es doch Stürme, hohe Wellen und andere Unwägbarkeiten!“ Ja, die gibt es, aber ich hätte mir etwas mehr davon gewünscht. Unterschätzt habe ich eher die menschlichen Unwägbarkeiten, die fast zwangsläufig auftreten, wenn sich die Crew noch nie zuvor gesehen hat. In dieser Hinsicht habe ich mich überschätzt: Meine Toleranz gegenüber anderen, mein Verständnis für andere Werte und andere Denkweisen, kurz: meine sozialen Fähigkeiten.

Angst vor dem Segeltörn hatte ich zu keinem Zeitpunkt. Angst ist eine Frage der Sichtweise, vorausgesetzt, man ist sich des Risikos bewusst. Ich war gut vorbereitet, hatte schon viel gelesen und meine eigenen Erfahrungen und Kenntnisse aus der Hochseeschiffer-Ausbildung gaben mir ein sicheres Gefühl. Das „Restrisiko“ ging ich gerne und bewusst ein. Wenn ich vor allen Eventualitäten zurückschrecke, brauche ich morgens nicht mehr aufzustehen. Dann lebe ich eigentlich gar nicht mehr, auch, wenn mein Herz noch schlägt.

Und überhaupt: Selbst wenn ich nicht mehr zurückkäme, hätte ich mein Leben voll und ganz ausgeschöpft, selbst, wenn es dasselbe gekostet hätte. Der Tod ist für mich nichts Schlimmes. Wir machen nur eine Katastrophe daraus, wenn Tod und Ungemach uns beweisen, dass das Leben nicht in unserer Hand liegt.

Für viele Angehörige klingt das sicher wie Hohn. Schließlich plagen sie Trauer und Abschied. Für viele bedeutet der Tod eines Angehörigen einen Verlust, der ihnen eine völlige Neuorientierung abnötigt. Zu dem Seelenschmerz kommen also ganz irdische Probleme. Aber all dies lässt den Toten ziemlich kalt – im wahrsten Sinne des Wortes.

Kein Leben ohne Tod

Wie wir mit dem Tod umgehen, hängt maßgeblich von unserer Lebenseinstellung und vom Blickwinkel ab. Deshalb will ich mich dem Thema sachlich und emotionsfrei nähern:

Biologisch betrachtet, ist alles Leben vergänglich. Es wäre unser Untergang, wenn es kein Sterben gäbe. Man stelle sich das vor: Im Wald kommen keine jungen Bäume hoch, solange die alten das Kronendach schließen. Tiere und Menschen vermehren sich endlos und treten sich zwangsläufig tot – ach, das geht ja nicht. Tod gehört also zum Leben und das ist gut so.

Außerdem verhilft uns die Endlichkeit unseres Lebens zu einem bewussteren Solchen, freilich vorausgesetzt, wir befassen uns mit dem Tod. Aber dieses Thema ist in weiten Kreisen noch immer ein Tabu. Mit dem Tod setzt man sich nicht gerne auseinander.

Wenn der Tod zum natürlichen Lebensprozess gehört, was ist dann so schlimm daran? Es ist die Bedeutung, die wir dem Tod beimessen. Wenn junge Menschen, wenn Kinder sterben, quält uns das „Warum“. Es gibt keine Antwort darauf! Wir haben in solchen Fällen nur zwei Möglichkeiten: Mit dem Schicksal zu hadern und womöglich daran zu verzweifeln oder es als gegeben anzunehmen und für das „Geschenk auf Zeit“ dankbar zu sein.

Der Tod als Erlösung?

Viele Religionen sehen den Tod als Erlösung und je salbungsvoller diese Erlösung beschrieben wird, umso befremdender wirkt solches Denken auf mich. Abgesehen von einem Leben in Leid und Schmerz kann ich keine Erlösung im Tod erkennen. Jedenfalls nicht, wenn ich dankbar und in Liebe durchs Leben gehe. Also Erlösung wovon? Eine Erlösung könnte es sein, wenn ich mein Leben als Kampf sehe, zum Beispiel gegen Armut, Krankheit, Versuchung, Emotionen oder was auch immer. Aber das ist nicht gemeint.

Christentum und Judentum sehen in der Erlösung die Befreiung von Sünde und damit das Heil. Ich kann jedoch der ganzen Erlösungstheorie nicht folgen. Ob wir das Heil, die Erlösung oder – im Buddhismus – die Erleuchtung finden, hängt doch letztlich von unserem ganz persönlichen Lebenswandel, von unserer Spiritualität und Lebenseinstellung ab. Ob wir aus eigener Kraft dahin kommen oder ob es dazu „göttlicher Gnade“ bedarf, vielleicht auch beides zusammenspielen muss, will ich an der Stelle offenlassen.

Das Christentum sieht im Tod nicht das Ende des Lebens, sondern einen anderen Seinszustand. Diese Sichtweise müsste doch den Hinterbliebenen Trost genug sein. Meine Beobachtungen sind aber andere: Ein regelrechter Trauerkult hindert uns am Loslassen. Müssen wir dieses Loslassen nicht lernen, kann man es lernen?  Hilft oder erschwert uns dieser Trauerkult das Loslassen?

Gottvertrauen

Loslassen kann ich nur im Vertrauen. Im Vertrauen darauf, dass alles was geschieht, in Ordnung ist und sein darf. Man kann es auch Gottvertrauen nennen. Das macht manche Fügung erträglicher. Das setzt freilich die Anerkennung der Existenz eines Gottes oder einer höheren Macht voraus. Dazu braucht es keinen kirchlichen oder religiösen Hintergrund. Es braucht die unerschütterliche Gewissheit über eine wundersame Schöpfung, deren Wege, Umwege und Fügungen wir nicht immer verstehen und lieben müssen. Skeptikern ist diese Gewissheit fremd, weil sie nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, genauso wenig wie Gott.

Wenn ich annehme, ja sogar gutheiße, was kommt, einschließlich meinem Tod, was sollte mir da noch Schlimmes widerfahren? Und wenn ich bedenke, dass wir gar keine Wahl haben, was das Schicksal betrifft, lebe – und sterbe – ich leichter, wenn ich es annehme, statt dagegen zu kämpfen. Überspitzt formuliert können wir also wählen zwischen Kampf und Spiel.

Verantwortung

Klingt das zu theoretisch? Ich erinnere mich an turbulente Diskussionen im Freundeskreis: „Wie kannst du all die Kriege, Mord und Totschlag, wie kannst du die Naturkatastrophen, Not, Elend und die großen Unglücke für gut heißen?“ Ja, das ist alles nicht schön und vielleicht sagt es sich aus der Position eines Lebens in Glück und relativem Wohlstand auch zu leicht: Würde das Universum, unsere höhere Macht, all das negativ Empfundene verhindern, wären wir unserer Verantwortung und damit unserer Freiheit beraubt. Viel Unheil ist schließlich vom Menschen gemacht.

Wenn uns Freiheit geschenkt ist, bedingt sie auch Verantwortung. Die interessante Frage ist also: Was kann ich konkret tun, um die menschengemachten Nöte lindern oder gar beheben zu helfen?

Nicht nur die Kriege, auch Hungersnöte müssten nicht sein. Wir sind es selbst, die dies zulassen oder gar aktiv daran beteiligt sind. Ich wage mich noch etwas weiter vor, auch, wenn es hartherzig und unmenschlich klingen mag: Wir nehmen das Aussterben ganzer Tier- und Pflanzenarten hin und sind sogar aktiv daran beteiligt. Hätten wir angesichts dessen ein Recht, das Aussterben des Homo sapiens zu kritisieren?

Das Universum ist so wunderbar eingerichtet, dass es sich immer wieder selbst reguliert hat. Aber wenn wir die Konsequenzen dieser Regulierung spüren, ob Tsunamis, Dürren oder Wirbelstürme, empfinden wir es als Katastrophe. Wäre nicht ein wenig Demut angebracht? Wenn wir uns selbst nicht als „die Macher“ sehen, sondern anerkennen, dass das Leben kommt, wie es will – ob uns das passt oder nicht, dann könnten wir doch das Leben einschließlich Tod viel gelassener nehmen. Noch einmal: Das heißt nicht, meine Verantwortung abzugeben! Oder habe ich irgendwo einen Denkfehler übersehen?

Rückblickend erwies sich so manche „Katastrophe“ in meinem Leben als ein Segen. Diese Erkenntnis lässt Gelassenheit zu. Und das Vertrauen darauf, dass alles, was kommt, zu meinem Besten sein wird! Das nimmt auch dem Tod seinen Schrecken.

Ich sehe den Tod als mein letztes großes Abenteuer. Nicht, dass ich mich darauf freue! Ich lebe sehr gerne und zufrieden. Aber ein wenig gespannt bin ich schon, wie das wohl sein wird. Schließlich werden die Todes-Erfahrungen nicht aus erster Hand übermittelt. Allerdings ist bekannt, dass die sogenannten „Macher“, die Menschen also, die nicht loslassen können, im Allgemeinen einen schwereren Tod sterben als diejenigen, die sich dem Leben, der höheren Macht, ergeben. All das sage ich unter dem Vorbehalt eines „Unerfahrenen“. Wer weiß, wenn es soweit ist, sieht das vielleicht ganz anders aus? Die Kommunikationsmöglichkeit aus dem Jenseits ist noch ungenügend, sonst würde ich einen Report als „Erfahrener“ schicken. Telekom und Co. arbeiten mit Hochdruck.

Dankbarkeit hilft uns

Und nach dem Tod? Danach erwarte ich nichts mehr. Mit dem christlichen Schreckgespenst vom „jüngsten Gericht“ kann ich nichts anfangen. Vielleicht ist diese Kirchenlehre schuld daran, dass der Tod bei den meisten Menschen so negativ behaftet ist. Ich deute diesen Ausdruck ganz irdisch: „Jüngst“ heißt für mich „jetzt, sofort, auf dem Fuß“. Das heißt nichts anderes, als dass unser ganzes Denken und Handeln unmittelbare Auswirkungen auf unser Dasein hat, und zwar im Jetzt, auf Erden, nicht irgend wann in der Hölle oder im Himmel.

Ich sehe in Gott das Universum, alles Leben, alle Dinge. Und wir Menschen sind Teil davon, also auch Teil Gottes. Wenn wir Gott nahe sind, dann sind wir uns nahe und umgekehrt, denn wir sind untrennbar mit der Schöpfung, nach meinem Verständnis also mit Gott, verbunden. Die Nähe bestimmen wir weitgehend selbst durch unsere innere Haltung. In dieser Gewissheit und in tiefer Dankbarkeit für das Leben stirbt es sich (vermutlich) leichter.

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