Zurück zur Urkirche?
Die Urkirche ging aus einer kleinen jüdischen Reformbewegung hervor,
entwickelte sich jedoch – trotz Verfolgung, innerer Spannungen und äußerer Widerstände – innerhalb weniger Jahrhunderte zu einem weltumspannenden Imperium. Der Weg vom Kreuz Jesu bis zur Zeit der Aufklärung ist eine beeindruckende Geschichte von Mission, Widerstand, innerer Formung und politischer Integration.
Inhalt
Die Ursprünge der Urkirche
Die Anfänge des Christentums liegen im Leben und Wirken Jesu von Nazareth. Nach seinem Tod am Kreuz begannen seine Anhänger, allen voran Petrus und Jakobus, ihn als von Gott gesandten Messias zu verkünden. In Jerusalem entstand so die erste christliche Gemeinde, die sogenannte
Urgemeinde. Zunächst richtete sich ihre Botschaft ausschließlich an Juden und blieb eng mit dem Judentum verbunden.
Eine entscheidende Rolle in der frühen Entwicklung spielte Paulus. Ursprünglich ein Verfolger der Christen, wurde er nach einer tiefgreifenden Bekehrung zu einem der eifrigsten Missionare des Christentums. Obwohl er Jesus nicht persönlich kannte und kein Jünger war, verstand er sich als Apostel. Paulus gründete zahlreiche Gemeinden im gesamten Römischen Reich und öffnete die junge Bewegung auch für Nichtjuden (Heiden). Dies führte zu Spannungen mit den ersten Jüngern in Jerusalem, bis es im Jahr 48 beim Apostelkonzil zu einer Einigung kam: Die Heidenmission wurde akzeptiert – ein entscheidender Schritt hin zu einer eigenständigen Religion.
Die Briefe des Paulus sowie weitere apostolische Schreiben wurden bald zu wichtigen Überlieferungen der frühen Kirche und später Teil des Neuen Testaments. Parallel breiteten sich die Gemeinden rasch im östlichen Mittelmeerraum aus – von Antiochia bis Rom.
Lehre und Gottesdienst
Die ersten Christen lebten in enger Gemeinschaft, teilten ihren Besitz, versammelten sich regelmäßig zum Gebet und feierten das “Brotbrechen” – eine frühe Form des Abendmahls. Der Gottesdienst war einfach, familiär, geistlich lebendig und stark gemeinschaftlich geprägt. Im Zentrum standen die Verkündigung, das Gebet, das gemeinsame Mahl und die innere Einheit
mit Christus.
Festgelegte liturgische Strukturen gab es zunächst nicht. Stattdessen gestalteten sich die Versammlungen offen und partizipativ. Hausgemeindeleiter, meist als „Älteste“ bezeichnet, leiteten die Versammlungen. Priester im heutigen Sinn existierten noch nicht, ebenso wenig ein hierarchisches Kirchenamt. Die Gemeinden entwickelten sich autonom, was zu einer frühen
Vielfalt in Theologie und Praxis führte. Erst im 2. Jahrhundert bildeten sich erste feste Formen heraus.
Ein typischer Gottesdienst dürfte – nach späteren Überlieferungen – folgendermaßen abgelaufen sein:
Wortgottesdienst
Dieser Teil entsprach stark dem jüdischen Synagogengottesdienst: Begrüßung z. B. durch den Gastgeber oder einen Gemeindeleiter – „Gnade sei mit euch“ (so wie bei Paulus). Es folgte ein Gebet, oft Psalmen oder freie Gebete, auch jüdische Gebetsformeln. Lesung der Heiligen Schrift, zunächst Altes Testament (v. a. Propheten, Psalmen, Tora), später auch apostolische Briefe und Evangelien, sobald verfügbar. Die Predigt bestand in der Auslegung der Schrift, z. B. durch Älteste, Apostel oder charismatisch begabte Gemeindeglieder. Oft lief das dialogisch ab mit Fragen und Beiträgen. Die Fürbitten bestanden aus Gebeten für Kranke, Verfolgte, die Gemeinde, das Reich Gottes.
Eucharistie
Dies war der Höhepunkt des Gottesdienstes und der eigentliche „christliche“ Teil: Er begann mit dem Friedensgruß („Grüßt einander mit dem heiligen Kuss“). Zur Gabenbereitung wurden Brot und Wein von Gemeindemitgliedern mitgebracht. Das Dankgebet (Eucharistiegebet) wurde frei formuliert mit Dank an Gott für die Schöpfung und das Heil in Christus. Die Einsetzungsworte Jesu wurden gesprochen (z. B. „Das ist mein Leib…“). Zur Kommunion erhielten alle Anwesenden Brot (und später auch Wein) als Symbol der Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Mit dem Schlussgebet (Lobpreis, Danksagung, Segenswort) und der Sendung (Aufruf zu einem Leben in Christus) endete der Gottesdienst.
Die frühesten Gottesdienste fanden meist in Privathäusern statt – nicht in Kirchengebäuden. Die Gemeinde bestand oft nur aus wenigen Dutzend Personen. Kernbotschaft der Urchristen war die Auferstehung Jesu. Barmherzigkeit, Vergebung und Nächstenliebe. Das wurde gelehrt und gelebt.
Statt Dogmen stand der Geist Jesu über allem. Die Taufe – das vollständige Untertauchen im Wasser – war für einen Bekehrten unabdingbar. Die ersten Christen mieden bei ihrer Anbetung jedwede Bildnisse.
Ausbreitung und Konsolidierung
Bereits im 1. und 2. Jahrhundert breitete sich das Christentum über den gesamten Mittelmeerraum aus. Die Christen versammelten sich weiterhin in Hausgemeinden und wurden wegen ihrer Exklusivität und der Verweigerung des Kaiserkults oft als staatsfeindlich betrachtet. Unter anderem unter Kaiser Nero und später unter Diokletian kam es zu schweren Verfolgungen. Gleichzeitig setzte eine innere Festigung ein: Ab dem 2. Jahrhundert entwickelten sich feste Ämter wie Bischof, Priester und Diakon. Die apostolischen Schriften – insbesondere die Paulusbriefe und Evangelien – wurden gesammelt und gewannen Autorität. Theologische Fragen, besonders zur
Person Jesu (Christologie) und zum Verhältnis zum Judentum, traten stärker in den Vordergrund.
Im 2. und 3. Jahrhundert kam es zu innerkirchlichen Auseinandersetzungen über Lehre und Praxis. Gegen sogenannte Häresien wie den Gnostizismus formierte sich eine „katholische“ (allgemeine) Kirche. Diese legte verbindliche Glaubensbekenntnisse fest, etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis, und stärkte das Bischofsamt. Die „apostolische Sukzession“ – also die Weitergabe der Lehrautorität von den Aposteln auf die Bischöfe – wurde zur Garantie der Rechtgläubigkeit erklärt.
Konstantin und der Weg zur Staatskirche
Mit Kaiser Konstantin kam im 4. Jahrhundert die entscheidende Wende: Das Toleranzedikt von Mailand (313) erlaubte erstmals freie Religionsausübung für Christen. Verfolgungen endeten, und das Christentum wurde zur bevorzugten Religion des Reiches. Konstantin förderte Kirchenbauten
(z. B. die Geburtskirche in Bethlehem) und berief 325 das Konzil von Nicäa ein, wo zentrale Glaubenssätze formuliert wurden – darunter die Gottgleichheit Jesu.
Spätestens mit der Erklärung des Christentums zur Staatsreligion durch Kaiser Theodosius I. im Jahr 380 wurde aus der einst verfolgten Urkirche eine mächtige Institution mit weltlichem Einfluss.
In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich eine streng hierarchische, machtvolle Institution mit zahlreichen Dogmen und Vorschriften. Die Machtstellung kirchlichen Herrscher in bestimmten Epochen begünstigte Kriege, die Verfolgung Andersdenkender sowie schwerwiegende institutionelle Fehlentwicklungen. In weiten Teilen war Kritik an den christlichen Amtsführern mit persönlichen Risiken verbunden.
In den Klöstern des Mittelalters sammelte sich ein enormes Wissen, das jedoch der breiten Bevölkerung weitgehend verschlossen blieb. Bildung war im Hochmittelalter ein Privileg des Klerus und diente in erster Linie religiösen Zwecken. Bis ins 16. Jahrhundert hinein war Analphabetismus – insbesondere unter Frauen – weit verbreitet. Das geringe Bildungsniveau
begünstigte auch spirituelle Abhängigkeit und machte eine selbstbestimmte Teilhabe am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben für viele Menschen schwierig. Martin Luther trat diesem Zustand entschieden entgegen: Er forderte Bildung für alle und machte mit seiner Bibelübersetzung ins Deutsche die Heilige Schrift erstmals auch für Laien verständlich und zugänglich – ein Meilenstein auf dem Weg zur allgemeinen Bildung.
Mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert änderte sich das grundlegend: Menschen wurden selbstbewusster und begannen, Lehren und Dogmen kritisch zu hinterfragen. Kirche und Staat wurden zunehmend voneinander getrennt, individuelle Freiheit gewann an Bedeutung.
Angesichts der historischen Schuld und der Entfremdung von den Ursprüngen stellt sich heute drängender denn je die Frage: Wie könnte eine Rückbesinnung auf das Wesentliche aussehen?
Zurück zu den Wurzeln?
Wie wäre es mit einer Rückbesinnung auf das Wesentliche?
- Bescheidenheit: Jesus lebte Demut und Gleichheit – Prunk, Macht und Abgrenzung widersprechen seinem Beispiel.
- Überprüfung und Korrektur überkommener Dogmen und Regelungen – z. B. die Unfehlbarkeit des Papstes, das Zölibat, das ausschließlich männliche Priesteramt, bestimmte Glaubensformeln, oder die liturgische Sprache –, um sie verständlicher und zugänglicher zu machen.
- Die Gläubigen sollten ermutigt werden, sich aktiv und reflektiert am kirchlichen Leben zu beteiligen und mitzugestalten.
- Aufrichtigkeit: Transparenz innerhalb der Institution – auch in höchsten Instanzen – ist entscheidend. Strafverfolgung darf nicht durch kirchliche Strukturen behindert werden.
- Offenheit zu Neuem. Jesus war dafür ein leuchtendes Vorbild. Er hat Reformen angemahnt, Missstände angeprangert, alte Traditionen in Frage gestellt und er hat das mit seinem Leben bezahlt. Diesen Geist wünsche ich mir von einer Kirche, wenn sie den Menschen dienen will.
Die deutsche katholische Kirche steht vor der Herausforderung, zwischen dem Wunsch nach weltkirchlicher Einheit und notwendigem innerkirchlichen Wandel zu vermitteln. Das Festhalten an tradierten Strukturen erschwert diesen Weg aus meiner Sicht erheblich. Die Einheit der Imperiums um jeden Preis ist aus meiner Sicht unrealistisch, weil sich Gesellschaften weltweit unterschiedlich entwickeln. Ich wünsche mir eine einfache, offene, bescheidene, lebensfrohe, menschenfreundliche und vielfältige Gemeinschaft. Die so entstehende Pluralität ist zu nutzen, nicht zu fürchten.
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