Verfügbarkeit – das garantierte Glück?
Sind wir glücklich, freuen uns auf unsere Arbeit, sind erfüllt von unserem Sein? Oder jagen wir dem Glück hinterher, lassen uns jagen von immer größeren Verheißungen, hängen am Tropf der Gesundheitsindustrie?
Ein kritischer Blick auf die letzten 100 Jahre offenbart die Tragödie unserer Entwicklung zum „modernen Menschen“.
Irgendetwas stimmt nicht
Dinge, die vor wenigen Generationen noch gottgegeben, also unabänderlich und somit hinzunehmen waren, werden heute wie selbstverständlich von uns kontrolliert, beeinflusst, teilweise sogar bestimmt. Das gilt für die Krankheit, das Sterben und die Geburtenkontrolle genauso wie für das Reisen, die Kommunikation oder die Automatisierung. Obwohl wir unseren Willen erfüllt, unser Ziel erreicht haben, ist es uns nie genug. Wir streben nach mehr, nach dem garantierten Glück.
Unsere Lebenserwartung, der Lebensstandard, die medizinischen und therapeutischen Möglichkeiten, die Arbeitsproduktivität usw. sind in rasantem Tempo gewachsen. Gleichzeitig stiegen jedoch die Gesundheitskosten ins unermessliche, wir Menschen haben den Kontakt zur Umwelt verloren, soziale Bande sind geschwunden und unsere Gesellschaft ist unzufriedener denn je. Wie ist das Paradoxon zu erklären?
Die Beherrschung der Welt
Es liegt scheinbar in der Natur des Menschen, dass wir alles beherrschen, wissen und können wollen. Unsere Welt muss sichtbar, berechenbar, erreichbar und in allen Bereichen nach unserem Gusto nutzbar sein. Kurz: Wir wollen das Unverfügbare verfügbar machen. Verfügbarkeit bedeutet Kontrollierbarkeit und damit Berechenbarkeit und Sicherheit.
Aber Berechenbarkeit bedeutet auch mehr oder weniger die Einschränkung von Freiheit und Lebendigkeit. Für diese Manipulation bezahlen wir also einen hohen Preis, und viele von uns merken es nicht einmal. Wir können uns nicht gegen alle Eventualitäten absichern. Wer das versucht, an dem geht das Leben ungelebt vorbei.
Viele Zeitgenossen suchen ihr Glück in der Illusion. Die Menschen streben nach einem sicheren und korntrollierbaren Leben und gleichzeitig bewundern sie Abenteurer, konsumieren Expeditionsdokus oder Berichte über Auswanderer. Die Ballungsräume stehen kurz vor dem Kollaps, während ganze Dörfer auf dem Land aussterben. Gleichzeitig geben sich Menschenmassen der Illusion von Landidylle hin. Zeitschriften wie „mein schönes Land“, „die Landapotheke“, „Landlust“ oder „Landidee“ haben Hochkonjunktur. Wie lange funktioniert der Selbstbetrug mit Illusionen?
Krankheit und Altern
Krankheit ist in unserer Zivilisation negativ besetzt, sie darf nicht sein, ist mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dass uns eine Krankheit etwas sagen will, dass sie ein Ausdruck zerstörerischer Lebensweise sein kann, dass ungeliebte Reaktionen unseres Körpers manchmal sehr sinnvolle Alarmsignale sein können, die wir dankbar annehmen sollten, ziehen nur die wenigsten in Betracht.
In den letzten 60 Jahren ist unsere Lebenserwartung um über elf Jahre gestiegen. Das hängt mit vielen Faktoren zusammen, unter anderem auch mit dem Fortschritt in der Medizin. Ich will die Kostenexplosion im Gesundheitswesen an der Stelle nicht diskutieren. Jedoch muss die Frage erlaubt sein, ob alles machbare auch sinnvoll, also ethisch und ökonomisch vertretbar ist. Einen neunzigjährigen innerhalb weniger Tage mehrfach wiederzubeleben, ihm an Herz-Lungen-Maschinen das Sterben zu verbieten, ist keine Ausnahme.
Es sollte für uns Menschen nicht selbstverständlich sein, über Leben und Tod zu bestimmen. Für mich ist es nicht erstrebenswert, mein Lebensende durch eine medizinische Vollversorgung um zehn oder zwanzig Jahre hinauszuzögern, um die letzten Jahre meinen Tod als Pflegefall in einer Verwahranstalt herbeizusehnen. Bei allen durchaus positiven Fortschritten, sei es die Steigerung der Lebensqualität, Schmerzlinderung oder neue Methoden der Krebstherapie, wünsche ich mir auch von den Ärzten mehr Respekt vor dem Leben. Dieser Respekt schließt die Akzeptanz des Todes ein.
Der rasant wachsende Markt für Anti-Aging-Produkte und Kosmetische Operationen, die zwanghafte Gewichtskontrolle und die Gesundheitsreligion in all ihren Facetten sind Ausdruck unseres Optimierungswahns. Der hilflose Versuch, dem Leben nachzuhelfen,
Können wir gegensteuern?
Ja natürlich! In den Bereichen, die wir selbst direkt bestimmen können, haben wir die Wahl. Wir müssen nur
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bereit sein, ein gewisses Risiko hinzunehmen
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akzeptieren, dass uns das Leben bei all unserer Vorsicht immer Überraschungen beschert. Je mehr wir die Risiken ausschließen, umso weniger sehen wir die Möglichkeiten.
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uns bewusster werden, ob unser Tun Leben zulässt oder abwürgt
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unsere Erwartungen dämpfen.
All das lässt sich mit dem leider schon abgewetzten Begriff „Achtsamkeit“ zusammenfassen. Ein achtsamer Umgang mit uns und allem Leben bewahrt uns vor der EGO-Falle.
Haufig wird der Utilitarismus mit einer egoistischen Ethik gleichgesetzt, in der eine individuelle Nutzenmaximierung verfolgt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bereits Jeremy Bentham, der als Begründer des Utilitarismus gilt, formulierte als Ziel „das größte Glück der größten Zahl“. Utilitaristen verfolgen als Hauptziel die Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens (Maximumprinzip). Daraus ergeben sich Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, an denen sich der Einzelne orientieren muss. Probleme entstehen dann, wenn das Nutzenstreben mit ethischen Werten wie der Gerechtigkeit kollidiert. Im Laufe der Geschichte haben die Utilitaristen die Formulierung und Begründung ihrer Theorie immer weiter verfeinert und Einwande berücksichtigt.