Nur Mut!
Gottes Schöpfung ist vollkommen, wunderbar und oft unbegreiflich. Alles, was der Mensch hingegen schafft – Gedanken, Strukturen, Systeme – ist stets fehleranfällig. Es ist nie absolut, sondern bedarf der ständigen Prüfung. Alle Institutionen, seien sie weltlich oder religiös, dürfen und müssen hinterfragt werden, wenn sich ihre Grundlagen als brüchig oder überholt erweisen. Nur so bleiben sie lebendig und wahrhaftig. Religionen, allen voran die katholischen Würdenträger, tun sich schwer mit Wandel und Selbstkorrektur. Zu sehr hängen sie an überkommenen Strukturen und patriarchalen Traditionen.
Inhalt
Wahrheit und Macht
Auch das Judentum zur Zeit Jesu war stark männlich dominiert – religiöse Macht lag in den Händen von Männern, Frauen galten als untergeordnet. Kein Wunder also, dass über Jahrhunderte hinweg nur Männer die religiösen Texte verfassten, auslegten und über Wahrheit und Irrtum entschieden.
Dabei wurde die Wahrheit oft durch eigene Deutungen überlagert, nicht vollständig überliefert oder im eigenen Sinn verändert. Ein eindrückliches Beispiel: Die Apostelin Junia. In den frühesten christlichen Quellen noch als Frau benannt, wurde sie im Mittelalter durch die männliche Form „Junias“ ersetzt. Erst moderne wissenschaftliche Forschung konnte im 20. Jahrhundert ihre wahre Identität wieder ins Licht holen. Solche „Korrekturen“ zeigen, wie flexibel mit Wahrheiten umgegangen wurde – und wie notwendig es ist, kritisch zu hinterfragen, was uns als ewig gültig verkauft wird.
Jesus – der mutigste Reformer
In Jesus erkenne ich den mutigsten und geradlinigsten Reformer der Geschichte. Er kämpfte nicht gegen den jüdischen Glauben – er wollte ihn vertiefen, erneuern, zurückführen zu seinem geistlichen Kern. Dabei stellte er sich mutig gegen religiöse Eliten, entlarvte ihre Scheinheiligkeit, sprach mit Ausgestoßenen und berief auch Frauen in seine Nachfolge. Er wusste wohl, dass diese Haltung sein Leben kosten könnte – und doch wich er nicht zurück. Sein Mut war radikal, sein Vertrauen in Gottes Wahrheit unerschütterlich.
Was bedeutet dieses Beispiel für uns heute? Folgen wir dem Geist Jesu – oder eher der konservativen Lehre und Autoritätsstruktur einer machtzentrierten Institution? Die katholischen Entscheider sehe ich in vielen Bereichen weit vom ursprünglichen Geist Jesu entfernt. Kreuzzüge, Hexenverfolgung und Ablasshandel sind Geschichte. Berichte über Machtmissbrauch, Korruption, zwielichtige Geschäfte oder einen opulenten Lebensstil einzelner Amtsträger gibt es immer noch und das ist mit Jesu Botschaft nicht vereinbar. Wir müssen uns fragen: Hätte Jesus heute in Rom überhaupt noch eine Stimme?
Wahre Jünger – damals und heute
Viele folgten Jesus, doch nur wenige wurden zu seinen wahren Jüngern – Menschen, die seine Haltung tief verinnerlichten und auch nach seinem Tod weitertrugen. Ohne solche mutigen Seelen hätte es kein Christentum gegeben. Später waren es Persönlichkeiten wie Martin Luther, Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin, die mit Überzeugung und Risiko für eine überfällige Reformation kämpften.
Auch heute gibt es sie – Menschen, die unbeirrt ihren inneren Überzeugungen folgen, inspirieren, Fragen stellen und Wandel anstoßen. Wir brauchen mehr von ihnen: Gläubige, die ihre Berufung ernst nehmen, die bereit sind, sich zu engagieren – für eine Gemeinschaft, die sich an Jesus orientiert, nicht an institutionellen Zwängen, Vorschriften und historischen Normen.
Wandel braucht Mut
Wir leben in einem freien, demokratischen Land – ein großes Geschenk. Denn echte Veränderungen brauchen mutige Menschen, die aus innerer Überzeugung handeln. In Diktaturen herrscht die Macht der Mitläufer. Auch in der Kirche ist es das stille Einverständnis, das Missstände zementiert. Doch wenn sich genug Menschen erheben, ehrlich hinsehen, Verantwortung übernehmen, dann kann etwas Neues entstehen.
Ich will kein Konformist sein. Ich will meinen Glauben leben, im Geiste Jesu – mit allen Fehlern und Grenzen, aber mit offenem Herzen. Ich glaube: Eine echte Reform des katholischen Riesen wird nicht von oben kommen. Der Vatikan hat wenig Interesse an tiefgreifendem Wandel – seine Strukturen begünstigen eher Kontinuität als radikale Veränderung. Besonders in wachsenden Regionen wie Südostasien, Afrika und Südamerika werden alte Traditionen verteidigt. Doch viele Bischöfe hierzulande wären bereit zur Erneuerung, wenn sie nicht an den Gehorsam gegenüber Rom gebunden wären. Der synodale Weg hat das gezeigt.
Darum liegt es an uns, den Gläubigen vor Ort. Wir brauchen Gemeinschaften, die sich im Sinne Jesu zusammenschließen. Die institutionellen Strukturen sind kein Selbstzweck – sie sollen dem Evangelium dienen, nicht sich selbst. Was göttlich ist, bleibt bestehen – doch was Menschenwerk ist, darf verändert, angepasst, neu gedacht werden. Religiöse Formen und Formeln, die sich nur aus Tradition rechtfertigen, dürfen hinterfragt werden.
Leider fehlt es oft an der Bereitschaft, neue Wege zu erproben. Zu groß ist die Angst vor dem Verlust des Vertrauten, zu schwach die Vision für eine lebendige, zukunftsfähige Gemeinschaft. Jeder Aufbruch bringt Unsicherheiten mit sich – und die gilt es auszuhalten, wenn echte Veränderung gelingen soll. Das betrifft alle Ebenen, auch des kirchlichen Lebens: den Abschied von vermeintlich sicheren Ritualen, vertrauten Gebeten oder gewohnten Strukturen. Damit einher geht nicht selten der Verlust gewachsener Gemeinschaften und sozialer Bindungen, die sich unweigerlich wandeln werden. Auch das Risiko des Scheiterns schreckt ab – zu mächtig scheint der Berg, der vor uns liegt. Scheuen wir diese Unsicherheit, bleibt die Lebendigkeit des Lebens – und besonders des Glaubens – auf der Strecke.
Doch wo ist der Glaube, das Vertrauen darauf, dass Gott uns auch im Wandel begleitet? Wo die geistliche Zuversicht, dass ER in neuen Formen wirkt? Nur wer bereit ist, Altes loszulassen, kann Neues empfangen. Das erfordert Mut – zur Selbstkritik, zum Denken, zum Anderssein. Aber wir sind nicht allein! Gottes Geist wirkt in uns, wenn wir auf unsere innere Stimme hören. Jeder von uns hat Talente und Berufungen – wir sind gerufen, Priester unseres eigenen Lebens zu sein.
Also: Nur Mut! Wir dürfen zweifeln, ringen, scheitern – solange wir ehrlich bleiben und dem Ruf Gottes in unserer Seele folgen. Wenn wir diesen Weg gehen, Schritt für Schritt, dann gehen wir ihn mit Gott. Und was könnte stärker sein?
Ein großes Hindernis auf dem Weg der Erneuerung müssen wir selbst abräumen: Die weit verbreitete, unkritische Hochachtung vor Priestern und Bischöfen genauso wie deren Rollenverständnis als Autoritätsperson. Man nennt es Klerikalismus.
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