Ist die Kirche noch zu retten?

Die Frage nach der Rettung der Kirche mag zunächst erschreckend wirken, doch sie wirft ein wichtiges Licht auf die aktuellen Herausforderungen, denen sich die christlichen Gemeinschaften gegenübersehen. Es ist traurig zu beobachten, wie sich die Kirchen zunehmend von ihren Mitgliedern entfremden, Gotteshäuser schließen und sich in vielen Fällen auf eine rein “dienstleistungsorientierte” Rolle reduzieren. Die ursprüngliche Aufgabe der Seelsorge scheint angesichts weitgehend anonymer Großpfarreien praktisch vernachlässigt zu werden.

Falscher Dialog?

Der Dialog zwischen den Gläubigen und den Kirchenführern ist entscheidend, jedoch beobachte ich eine Diskrepanz zwischen der angeblichen Bereitschaft zum offenen Dialog seitens der Bischöfe und der tatsächlichen Bereitschaft zu grundlegenden Reformen. Die Laien fühlen sich machtlos und ziehen sich entmutigt zurück. Offener Dialog bedeutet, sich auf Augenhöhe zu begegnen und bereit zu sein, auf den Partner zuzugehen.

Der „synodale Weg“ war im Ergebnis ein misslungener Versuch zeitgemäßer Umgestaltung. Und er hat gezeigt, dass die Kirchenführer nicht bereit sind, auf die Gesellschaft zuzugehen, alte Zöpfe abzuschneiden und gemeinsam mit ihren Gläubigen neue Wege zu gehen. Die dringenden Reformen gehen schon vielen Bischöfen zu weit, vom Veto des Vatikan ganz zu schweigen. Die Angst vor einem Verlust an Macht scheint jegliche Reformbemühungen zu ersticken.

Gläubige Menschen treten in Massen aus der Kirche aus und das Angebot an Nachwuchspriestern ist ebenfalls auf einen Tiefstand gesunken. Das gilt für beide großen Konfessionen. Ich will hier jedoch nur die mir angestammte katholische Kirche beleuchten und auch nur in Deutschland. Denn es ist nicht überall so schlecht um die Kirche bestellt wie in Westeuropa. Weltweit steigen nämlich die Mitgliederzahlen. Vielleicht ist das der Grund für die Unbeweglichkeit der Kirchenführer?

Dabei würde die Kirche als spiritueller Begleiter und moralische Instanz dringender gebraucht den je. Die Lücke füllen zweifelhafte Sekten.

Reformansätze

Was sind die dringendsten Reformen?

  • Die Lehre müsste komplett überdacht und reformiert werden. Dazu gehört nicht nur das Studium der Theologie, sondern auch die Ausbildung zum Priester und die Auswahl der Kandidaten (die Persönlichkeit ist sicher ein wichtigeres Kriterium als der Nachweis der Zeugungsfähigkeit). Schließlich fallen geeignete Persönlichkeiten nicht vom Himmel.
  • Klerikalismus ist das Gift, das die katholische Kirche lähmt. Klerikale Arroganz zeigt sich viel zu oft im kirchlichen Alltag, besonders aber bei den Führungseliten. Papst Franziskus hat dies schon bald nach seinem Amtsantritt angeprangert. Aber selbst er wird dafür von einigen Kurienkardinälen heftig kritisiert. Näheres zum Klerikalismus hier.
  • Die Hierarchie ist abzuflachen. Die Unfehlbarkeit des Papstes ist nicht mehr haltbar. Die Gemeinden wie die Bistümer müssten auch mit Laien besetzt werden, die faktisch mitbestimmen können. Das würde Menschen motivieren, sich wieder einzubringen.
  • Die Gemeinden wählen den Priester aus und müssen weitgehend selbständig sein, sowohl in der Verwaltung wie in der Gestaltung der Gottesdienste (Vorbild Schweiz).
  • Transparenz: Konsequente Aufklärung von Missbrauchsfällen und deren Vertuschung. Auch „unsaubere“ Geschehnisse in Bistümern wie im Vatikan sind öffentlich aufzuklären. Dies erfordert Transparenz in der Kirchenführung und eine ehrliche Auseinandersetzung mit vergangenen Fehlern.
  • Einbeziehung der Gläubigen: Die Kirche muss sich stärker den Veränderungen der Gesellschaft stellen und auf die Bedürfnisse der Gläubigen zugehen. Partizipation auf allen Ebenen der Kirche ist die Voraussetzung echter Gemeinschaft und motiviert zur Mitarbeit.
  • Gendergerechtigkeit und Öffnung für verschiedene Lebensweisen: Die Kirche muss sich mit Fragen der Gendergerechtigkeit und der Akzeptanz verschiedener Lebensweisen auseinandersetzen. Dies umfasst Themen wie Frauenordination, Homosexualität und Ehe für alle, Zölibat.
  • Die Gottesdienste einschließlich der Predigt müssten lebensnah und lebendig sein. Das gilt für die Gebete, die Rituale und das Liedgut genauso wie für die aktive Mitwirkung der Gläubigen bei der Gestaltung der Liturgie. Die Predigt sollte sich auf unseren Alltag beziehen, die Weisheit der Evangelien in die Lebenspraxis übertragen.

Ist das alles mit der Amtskirche umzusetzen, mit ihren starren Strukturen und “Machthabern”, die sich Veränderungen verweigern? Was können realistische Alternativen sein?

Sind Alternativen in Sicht?

Es gibt sehr wenige Kirchengemeinden, deren Priester fähig und bereit sind, die Liturgie gemeinsam mit den Gläubigen und im Sinne Jesu zu gestalten. Diese Gemeinschaften können zwar nicht alle strukturellen Hindernisse überwinden, genießen jedoch eine gewisse Freiheit innerhalb ihrer Gemeinde, solange der zuständige Bischof zustimmt oder Abweichungen von Vorgaben zumindest toleriert.

Dass mutige Bischöfe die oben beschriebenen Reformen unabhängig von Verboten aus Rom angehen, ist unwahrscheinlich. Realistischer ist es, dass Reformer abberufen und durch „brave“ Bischöfe ersetzt werden. Eine einheitliche Linie der deutschen Bischöfe wäre zu wünschen. So könnten die Strukturen weitgehend erhalten und der Wandel stetig, aber behutsam umgesetzt werden. Wie der Vatikan damit umgeht, ist dem Papst überlassen. Und selbst wenn die „abtrünnigen“ Reformbischöfe zur Abspaltung von Rom gezwungen werden, wäre dies besser als der absehbare Niedergang der katholischen Kirche in Deutschland.

Eine realistische Möglichkeit ist die Organisation in Gruppen nach dem Vorbild der Urkirche, frei von Dogmen und Vorschriften, aber hohen Einsatz jedes Einzelnen fordernd.

 

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