Glaube ohne Gebet?
Glaube ohne Gebet – geht das? Die kurze Antwort: Es kommt darauf an, was wir unter „Gebet“ verstehen. Für mich drückt sich Gebet im praktischen Leben aus, im Denken und Handeln. So gesehen gehört Glaube und Gebet zusammen, sie sind gar nicht zu trennen.
Inhalt
Hinterfrage dein Gottesbild
Unsere Vorstellung von Gott beeinflusst unsere Spiritualität und unsere Art, zu beten. Gibt es ein richtiges oder falsches Gottesbild? Ich meine ja, denn es gibt Vorstellungen von einem liebenden Gott, der uns Freiheit schenkt und solche, die einen strafenden, richtenden Gott der Angst am liebsten alles regeln lassen (im Kapitel „Grenzenloser Glaube“ haben wir das genauer beleuchtet). Mit den folgenden Gedanken will ich dich ermuntern, dein Bild von Gott zu reflektieren. Den Rest erledigt der Heilige Geist.
In Teilen vermittelt die kirchliche Lehre ein Gottesbild, das manche als fragwürdig empfinden: Gott, der „Allmächtige“ kann alles, sieht alles, weiß alles. Er regelt und ahndet alles auf seine Weise und lenkt unser Leben. Wir beten ihn an, bitten ihn, flehen ihn an, danken ihm. Das führt zu einem personifizierten Gottesbild. Die entrückte Sprache in den Messbüchern zeigt uns das anschaulich. Wie wäre es mit der schlichten Formulierung „wir sind dankbar für…“? Ein personifiziertes Gottesbild greift für viele spirituell Suchende zu kurz, um die Tiefe und Komplexität des Universums auszudrücken. Es reduziert Gott auf eine Art magische Instanz, die unsere Bitten erfüllen soll.
Ist das nicht eine Form der Selbstentmündigung, weil wir IHM die Verantwortung für alles zuschieben? Es suggeriert uns, nur genug beten zu müssen, und alles wird gut. Dieses Bild wird aber dem Wunder der Schöpfung, Gott, dem Universum, nicht gerecht. Das Bild vom allmächtigen Gott im Himmel kann zu Passivität führen und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung untergraben. Und was geschieht, wenn dieser Gott unsere Gebete nicht erhört, unsere Bitten nicht erfüllt? Nach meiner Beobachtung ist die Gefahr groß, dass sich die frommsten Menschen von Gott abwenden, wenn sie in Not geraten. Was stimmt da nicht? Müssen wir noch mehr beten oder vielleicht eher unser Gottesbild überdenken?
Ich sehe Gott als das unendliche Universum, als alles Leben und wir Menschen sind Teil dieser wunderbaren Schöpfung, also auch Teil Gottes. Es ist kein interagierender Gott, jedenfalls nicht unmittelbar. Aber er hat uns mit unserer Seele ein „Kommunikationsmedium“ geschenkt, wodurch ER wirken kann und worauf wir achten sollten. Wenn wir Leere in uns schaffen, frei von Ablenkungen sind, können wir unsere Seele erreichen – und damit Gott. Meine Beziehung zu Gott definiere ich nicht durch Gebete, sondern vielmehr durch meine innere Haltung zu ihm, gespeist durch Gottvertrauen und Dankbarkeit.
Ist die Idee nicht vermessen und kleingeistig, dass Gott unsere Bitten und Hinweise auf Missstände oder gar Handlungsempfehlungen aus unserer Sicht braucht? Aus meiner Sicht wirkt es befremdlich, wenn Heilige als vermittelnde Instanzen zu Gott fungieren sollen, sozusagen „zwischengeschaltet“ werden – auch wenn diese Praxis für viele Gläubige tröstlich ist. Da gibt es „Spezialisten“ für Feuer, Reisen und alles Mögliche. Und dann gibt es noch eine Steigerung: Das „Allerheiligste“. Dessen Anbetung ist für viele Katholiken ein zentraler Ausdruck ihrer Frömmigkeit. Aus meiner Perspektive ist das schwer nachvollziehbar und macht deutlich, dass Glaube und Aberglaube im Auge des Betrachters liegen.
Alternative Gebetsformen
Ich will das konventionelle Gebet nicht gänzlich ablehnen. Das „Gespräch mit Gott“ kann Trost und Hilfe für den Verzweifelnden sein, der daran glaubt. Ein fester Glaube – gleich welcher spirituellen Ausrichtung – kann große innere Kräfte freisetzen. Das Angebot an Gebeten ist riesig: Bittgebete, Lobpreisgebete, Dankgebete, Bußgebete, Liturgische Gebete und das alles noch zu verschiedenen Anlässen. Aber vielleicht sollten wir auch andere Gebetsformen in Betracht ziehen. Überdenken wir zunächst unser „Gebetskonzept“ und lassen zu, dass es beim Gebet nicht unbedingt um das gesprochene Wort geht. Es geht im Kern um die Nähe zu Gott, zu unserer Seele. Mir hilft dazu eher das Schweigen als das Reden. Gebet muss nicht gesprochen werden, es kann gedacht, meditiert und vor allem gelebt werden.
Hier einige Gedanken dazu:
Gebetsspaziergang: Ähnlich wie bei der Schweigewanderung konzentrieren wir uns beim Gehen in Stille auf unsere Umgebung und Gedanken, um eine tiefere spirituelle Verbindung herzustellen und mit Gott im Dialog zu sein.
Meditationsgebet: Durch achtsame Präsenz und bewusstes Wahrnehmen richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Moment, spüren unsere Sinne, Gedanken und Gefühle und verweilen im Hier und Jetzt.
Kunstgebet: Kreative Ausdrucksformen wie Malerei, Musik, Tanz oder Schreiben können als Gebet dienen, indem sie unsere inneren Gedanken und Gefühle ausdrücken und mit dem Göttlichen kommunizieren.
Handlungsgebet: Handlungen der Freundlichkeit, Fürsorge und Nächstenliebe können Gebet sein oder die volle Konzentration auf meine gegenwärtige Arbeit.
Gebet der Körperbewegung: Für manche Menschen können Praktiken wie Yoga, Tai Chi oder Qi Gong eine spirituelle Dimension haben und als Gebetsform verstanden werden.
Gebet der Dankbarkeit: Es gibt viele Möglichkeiten, unseren Dank für die Segnungen unseres Lebens und des Universums zu erspüren. Mir gelingt das am besten in freier Natur.
Dankbarkeit – das schönste Gebet
Für mich ist es die schönste Form des Gebets, nicht zwingend ausgesprochen, aber gelebt. Dankbarkeit unterstützt uns, ein erfülltes, glückliches und sinnerfülltes Leben zu führen. Konzentrieren wir uns auf das, was wir haben, statt darauf, was uns fehlt, erfahren wir eine spürbar positive Veränderung unserer Einstellung zum Leben.
Jeder hat seine eigene Lebensauffassung, sein Gottesbild, seine Gebetsformen und das ist gut so. Wenn wir unsere eigenen Bilder und Einstellungen, unser Denken und Handeln überprüfen und bereit sind, sie gegebenenfalls zu ändern, bleiben Leben und Glaube lebendig. Letztlich geht es im Gebet darum, Gott nahe zu sein. Wenn wir in Stille unsere Seele spüren, sind wir bei Gott. Die Nähe bestimmen wir weitgehend selbst durch unsere innere Haltung.
„Wenn das einzige Gebet, das du in deinem ganzen Leben sprichst, ‚Danke‘ lautet, so würde das genügen.“ – Meister Eckhart
Der oben beschriebene Geist soll im folgenden Dankgebet spürbar werden.
Dankgebet
Quelle des Lebens, göttliche Kraft,
Wir danken dir für die täglichen Gaben,
Für Sonne und Wind, die uns umfangen,
Für die Luft, die wir atmen und die Nahrung, die uns erquickt,
Und für das reine Wasser, das du uns geschickt.
Wir sind dankbar für Geist und Sinn, für Kraft und Mut,
Für das Dach über uns, das uns Geborgenheit schenkt,
Für die Liebe um uns, in all ihren Formen,
Für die Umwege, die den rechten Pfad uns zeigen,
Für jeden Tag, im Morgentau jungfräulich erwachend.
Möge Dank uns leiten, das Leben umarmend,
unsere Herzen öffnen für die Schönheit des Lebens,
Unsere Hände öffnen für die Not des Nächsten,
Unsere Augen öffnen für die Wunder im Alltag,
Unseren Geist inspirieren, Segen für die Welt zu sein.
In Demut verneigen wir uns vor Gottes Schöpfung,
dankbar erkennend, dass ER uns geleitet.
Hans Löwer
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