Biebel

Du sollst (nicht)…

BiebelIm Zentrum christlicher Lehren stehen die zehn Gebote und das neue Testament. Die zehn Gebote gelten als grundlegende moralische Richtlinie. Die Evangelien sind als Beispiel Jesu und als Aufruf zur Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Vergebung zu verstehen. Nach meiner Beobachtung wird beides an kritischen Stellen starr und dogmatisch ausgelegt. Die Kirchenlehre wird so oft als Mittel zur Kontrolle und Unterdrückung eingesetzt. Insbesondere die Betonung von Sünde, Schuld und Strafe führt zu einem verzerrten Bild des Evangeliums, das den eigentlichen Kern der Botschaft Jesu verdeckt. Trifft die christliche Kirchenlehre noch den Nerv der Zeit?

Überkommene Dogmen

Die christlichen Lehren, Gebote und Verbote wurden über Jahrhunderte von elitären Herren der Kurie festgelegt und durchgesetzt, mutmaßlich ohne die Bedürfnisse der Gläubigen oder wissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu berücksichtigen. Insbesondere die katholische Kirche tut sich mit dem Revidieren und Anpassen ihrer Lehre schwer, an einen Paradigmenwechsel ist schon überhaupt nicht zu denken. Dies führt zu einer Entfremdung zwischen den Gläubigen und den Kircheninstitutionen. Es untergräbt das Vertrauen in die Autorität der Kirche.

Vieles von dem, was die oberste Riege der christlichen Kirchenherren über die Jahrhunderte festlegte, erscheint mir heute als Unsinn. Einige Beispiele:

  • Die Unterdrückung von Frauen in kirchlichen Ämtern und Hierarchien, die sich nicht mit zeitgemäßen Vorstellungen von Geschlechtergleichheit vereinbaren lässt.
  • Die Verurteilung von Homosexualität als Sünde und die Weigerung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu segnen oder anzuerkennen.
  • Die strenge Kontrolle der Sexualität und die Ablehnung von Verhütungsmitteln, die den individuellen Entscheidungen und Bedürfnissen der Gläubigen nicht gerecht wird.
  • Die Verteufelung von Scheidung und Wiederheirat, die nicht die vielfältigen Realitäten menschlicher Beziehungen berücksichtigt.
  • Der Zölibat für Geistliche, was zu Problemen wie dem Priestermangel und sozialer Isolation führen kann.
  • Die Verherrlichung von Leiden und Askese, die das Streben nach einem erfüllten und glücklichen Leben in den Hintergrund drängt.
  • Die fragwürdige Vorstellung des Fegefeuers als Ort der Reinigung und Buße nach dem Tod. Besonders das Fegefeuer empfand ich als Kind als Furcht erregend. Es war eine Drohung, weil ich mich als ein “böser Junge” fühlte.

Das sind nur wenige der aktuellen “Problemfälle”. Viel schlimmer war das noch vor wenigen hundert Jahren. Sind diese Lehren durch die heilige Schrift gedeckt oder dienen sie  dazu, uns Sünder durch Angst und schlechtes Gewissen zu kontrollieren und Macht über uns zu sichern.

Jesu Beispiel

Damit stelle ich weder die zehn Gebote noch das Evangelium in Frage, wohl aber deren starre und oft sehr dogmatisch passend verzerrte Auslegung. Jesus selbst offenbarte dies, als er an einem Sabbat einen Kranken heilte und die Pharisäer empört reagierten. Er stellte die Frage, was daran falsch sei, an einem Sabbat Gutes zu tun, da der Sabbat doch für den Menschen da sei und nicht der Mensch für den Sabbat.

Die Lehre Jesu fordert uns auf,

  • Verantwortung zu übernehmen,
  • mit Verstand und Seele zu handeln,
  • nicht blind zu folgen, was uns vorgegeben wird,
  • nicht alles zu glauben, was die Obrigkeit sagt, und
  • nicht gedankenlos alte Meinungen, Riten und Vorurteile aufrechtzuerhalten.

Wo ist der Kompass?

Wenn wir der kirchlichen Obrigkeit nicht blind folgen dürfen, was ist dann unser moralischer Maßstab in unserem Alltag? An erster Stelle sicher das Beispiel Jesu und die Seele, gefolgt vom Verstand. Wenn Lehren abstrakt und entrückt von unserem Alltag erklärt werden (wie es bei den meisten Predigten der Fall ist), dann bin ich misstrauisch. Dies ist meine Hauptkritik an den christlichen Kirchen (und anderen Religionen): Die Lehren sollten nicht das Dogma, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellen, was letztendlich der ursprüngliche Sinn jeder Religion ist.

Ein Beispiel dafür ist das Gebot “Tue Gutes – dein Lohn im Himmelreich wird groß sein”. Es bedarf keiner Himmel oder Hölle, sondern einfach der Erkenntnis, dass unser Denken und Handeln sich unmittelbar auf unsere Persönlichkeit auswirken, sei es positiv oder negativ. Die Heilige Schrift ist in vielen Teilen ein praktischer Lebensratgeber. Solange die Priester dieses Potenzial nicht erkennen und die Texte nicht lebensnah interpretieren können, bleibt die wahre Bedeutung der Bibel unbeachtet. Es ist bedauerlich, dass besonders die Jugend nach Orientierung sucht und sich von den christlichen Kirchen abwendet, hin zu fragwürdigen Sekten.

Die Zwickmühle: Moral und Gesellschaft

Das Dilemma, mit dem die christliche Kirchenlehre konfrontiert ist, liegt in der Balance zwischen der Vermittlung statischer moralischer Werte und der Anpassung an sich wandelnde gesellschaftliche Normen und Werte. Einerseits besteht der Anspruch, zeitlose und unveränderliche Prinzipien zu lehren. Andererseits ist die Kirche als Teil der Gesellschaft ständigen Veränderungen und Entwicklungen ausgesetzt und muss sich daher neuen Herausforderungen und Erkenntnissen stellen. Beides in Einklang zu bringen, führt unvermeidbar zu Konflikten,

Das Dilemma besteht also darin, einerseits die Unveränderlichkeit und Beständigkeit der Lehren zu wahren, um die Identität und Glaubwürdigkeit der Kirche zu bewahren, und andererseits flexibel genug zu sein, um sich den Herausforderungen und Veränderungen der Zeit anzupassen, ohne dabei ihre moralische Integrität zu verlieren. Es erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Tradition und Innovation, zwischen Bewahrung und Weiterentwicklung, um das Gleichgewicht zwischen der zeitlosen Wahrheit des Glaubens und den Anforderungen einer sich wandelnden Welt zu finden.

Fazit

Es ist an der Zeit, dass die christlichen Kirchen ihre Lehren und Gebote kritisch überdenken und an die Bedürfnisse und Herausforderungen der heutigen Zeit anpassen. Statt starre Regeln und dogmatische Interpretationen zu predigen, sollten sie Raum für Reflexion, Diskussion und persönliches Wachstum schaffen. Die zehn Gebote und das Evangelium sollten als lebendige Quellen der Inspiration und Orientierung verstanden werden, die den Gläubigen dabei helfen, ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen.

Es liegt an den Kirchenführern und Gläubigen gleichermaßen, diesen Wandel einzuleiten und sicherzustellen, dass die Lehren der christlichen Kirchen im Einklang mit den universellen Werten von Liebe, Mitgefühl und Gerechtigkeit stehen. Nur so können die Kirchen ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen und eine positive Rolle in der Gesellschaft spielen.

 

 

 

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