Die neue Kirchenlehre

Die Kirchenlehre seit 2050

Die starre und absolut geltende Kirchenlehre aus vergangenen Zeiten war zweifellos eine Hauptursache für den rasanten Mitgliederschwund beider großer Konfessionen in Deutschland. Eine sich stetig wandelnde Welt erforderte eine flexible Anpassung menschlichen Denkens und Handelns. Auf die Kirchenlehre der Zukunft bezogen bedeutete das: Einzelne Reformen reichen nicht aus. Die Kirche, genauer gesagt die Menschen, brauchen eine radikale Erneuerung der Kirchenlehre, die ihrer Zeit gerecht wird, verstanden wird und neue Perspektiven öffnet. Das war ein weites Feld, das bearbeitet werden musste.

Heute präsentiert sich die Kirche als offene, inklusive und dynamische Institution, die dogmatischen Ballast abgeworfen hat. Sie ist kein Machtinstrument mehr, sondern ein Raum der Inspiration, Reflexion und ethischen Orientierung. Nur durch diese tiefgreifende Reform war es möglich, die Kirche vor dem Untergang zu bewahren und sie zu einer moralischen Instanz des 22. Jahrhunderts zu machen.

Vorbild statt Dogmatismus

Die aus meiner Sicht schlimmste Lehre nehme ich vorweg: Jesus ist für uns den Kreuzestod gestorben, um unsere Sünden zu sühnen (oder so ähnlich). Der Benediktinermönch und Mystiker Willigis Jäger schreibt dazu:

„Entscheidend jedenfalls ist, dass sich das Christentum mit der Erlösungstheologie, die gar nicht von Jesus kommt, sondern von Paulus eingebracht wurde, eine gewaltige Hypothek aufgeladen hat…..weil es heute kaum mehr möglich ist, einem aufgeklärten Menschen beizubringen, dass vor 2000 Jahren ein Mensch am Kreuz gestorben ist, um unsere Schuld zu sühnen“. Ich füge hinzu: Mit dieser Lehre wird bis heute hochwirksames Seelengift gestreut.

Die christliche Mission wurde oft mit der Verbreitung dogmatischer Lehrsätze assoziiert. Doch Jesus selbst wirkte nicht durch aufgezwungene Dogmen, theologische Rechtfertigungen oder starre Rituale, sondern durch sein gelebtes Beispiel. Pädagogen und Eltern wissen seit jeher: Kinder lernen durch Vorbilder weit effektiver als durch Belehrung, Drohung oder Verbote. Eine Kirche, die sich an Jesu Vorbild orientieren will, muss mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Glaubensbotschaft durch gelebte Nächstenliebe statt Ausgrenzung, durch Gerechtigkeit statt Raffgier und durch Demut statt absolutistischer Arroganz verkörpern.

In einer pluralistischen Gesellschaft kann die Kirche nur dann relevant bleiben, wenn sie als moralisches Vorbild wahrgenommen wird. Das bedeutet, sich für die Schwachen einzusetzen, soziale Gerechtigkeit zu fördern, Gemeinschaft zu stiften und diese Werte glaubwürdig vorzuleben. Dabei muss die Rolle Jesu als Inspirationsfigur gestärkt und nicht als dogmatische Rechtfertigung kirchlicher Lehren missbraucht werden.

Ergebnisoffene Überprüfung der Lehre statt Inquisition

Eine lebendige Kirche musste bereit sein, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Dogmen, die vor Jahrhunderten formuliert wurden, müssen nicht unverändert für alle Zeiten als verbindlich gelten. Daher war die Einrichtung unabhängiger Ethik- und Theologiekommissionen notwendig, die die kirchliche Lehre regelmäßig überprüft und Reformvorschläge erarbeitet. „Die gibt es schon!“, sagten die Kleriker. Ja, die gab es tatsächlich schon seit dem Mittelalter, bekannt als Inquisition. Allerdings ging es damals mehr um das Aufspüren und Liquidieren von Häretiker:innen.

Die Hässlichkeiten dieser Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sind hinlänglich bekannt. Das Image der „Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition“ war ruiniert und daher mehrfach umbenannt. Heute ist es das „Dikasterium für die Glaubenslehre“, mit ähnlicher Aufgabe, aber weniger brutalen Methoden. Es muss niemand mehr um sein Leben fürchten, weil die Kirche die Macht dazu verloren hat. Aber der Entzug der Lehrerlaubnis, Predigtverbote oder das zurückversetzen von Priestern in den Laienstand waren bis zum ersten Drittel des 21. Jahrhunderts neben Drohung, Ächtung und Rufmord gängige Praxis. Papst Franziskus berief 2023 den als liberal geltenden Kardinal Víctor Fernández zum Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre. Aber nur diese Personalentscheidung ohne strukturelle Umgestaltung brachte keinen wirklichen Fortschritt. Das Gremium bestand damals aus 29 hochrangigen Kardinälen und Bischöfen und immerhin sechs linientreuen Laientheologen, darunter sogar Frauen. So blieb die Clique mehrheitlich unter sich und alles „in sicheren Händen“ vor drohender Veränderung.

Angesichts der künftigen Aufgaben wurden solche Kommissionen im Zuge der Neuausrichtung 2030 paritätisch und interdisziplinär besetzt – mit Theologen, Ethikern, Sozialwissenschaftlern und vor allem Vertretern des Kirchenvolkes, also mit bodenständigen Menschen, die noch Kontakt zur realen Gesellschaft hatten. Ihre Aufgabe ist es heute, dogmatische Lehrsätze auf ihre Notwendigkeit und ggf. auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen und Bedürfnissen der modernen Gesellschaft zu prüfen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Kirche nicht mehr zurückfällt in eine starre Institution, sondern sich dynamisch weiterentwickelt.

Das Dilemma bestand darin, dass die Kirche auf allen Ebenen, also von der Gemeinde über Bistum bis zur römischen Kurie, Entscheidungsgremien so besetzte, das Geistliche die Geschicke bestimmten. Und sollte das Kirchenvolk einmal etwas gegen den Willen der höheren Instanz beschlossen haben, griff ein Vetorecht (Synodaler Weg). So konnte man nur Frustration erzeugen, aber keine noch so fromme Institution führen.

Konservative Kirchenfürsten befürchteten damals, in der Planungsphase der Erneuerung 2030, einen „Ausverkauf“ des Christentums, wenn sich die Kirche „dem Zeitgeist beugte“. Der Papst aber, für seine Aufgeschlossenheit zum Menschen und seine geistige Öffnung der Kirche bekannt, erlegte den Skeptikern eine Klausur auf. Darin sollten sie sich folgende Fragen offen und aufrichtig beantworten:

  • Steht eine konkrete Lehre oder Forderung der Kirchenlehre entgegen? Dann wäre die Lehre zu überprüfen, denn sie steht viel zu oft im Widerspruch zum Beispiel Jesu.

  • Steht eine konkrete Lehre oder Forderung dem Geist Jesu entgegen? Dann wäre Skepsis wahrlich gerechtfertigt. Allerdings erst nach Berücksichtigung der damaligen Gesellschaftsordnung. Wir müssten reden.

  • Was bewirkt eine starres Festhalten an alten Lehren? Treiben wir die Kirchenaustritte in den westlichen Ländern weiter an und sind dort in naher Zukunft eine unbedeutende Sekte? Wollen wir gleichzeitig unzähligen Splittergruppen und religiösen Vereinen das Feld überlassen? Wäre das im Sinne Jesu oder wäre es Verrat an seiner Kirche?

Ethische Neubesinnung

Die heutigen moralischen Vorstellungen der Kirche im Jahr 2100 spiegeln eine Balance zwischen Tradition und Fortschritt wider. Ziel bleibt es, sowohl dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft in einer sich stetig wandelnden Welt eine moralische Orientierung anzubieten.

Besonders sichtbar wird dies in der Rolle der Frau: Heute selbstverständlich, war es lange undenkbar, dass Frauen Zugang zu allen kirchlichen Ämtern haben. Gleiches gilt für die Anerkennung queerer Menschen, die lange Zeit ausgeschlossen wurden. Diese Öffnung wurde nicht ohne interne Konflikte vollzogen, doch sie wurde als notwendig erachtet, um den moralischen Werten von Gerechtigkeit und Nächstenliebe gerecht zu werden.

Technologische und ethische Herausforderungen

Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz, der Gentechnik und der digitalen Welt hat viele ethische Fragen aufgeworfen, mit denen sich die Kirche auseinandersetzen musste. Anfänglich selbst orientierungslos ob der rasanten Entwicklung, hatte die Kirche im Jahr 2040 eine klare Haltung entwickelt. Sie erkannte die Vorteile dieser Technologien an, mahnte jedoch zu einem verantwortungsvollen Umgang, der die Würde des Menschen bewahrt.

Gentechnische Eingriffe werden unter ethischen Gesichtspunkten bewertet: Heilungsmaßnahmen und Krankheitsprävention gelten als moralisch vertretbar. Der Manipulation des menschlichen Erbguts zur Verbesserung bestimmter Eigenschaften steht die Kirche aber weiterhin ablehnend gegenüber.

Familie und Ehe

Das Verständnis von Familie und Partnerschaft hat sich bis heute stetig diversifiziert. Die Kirche hat ihre Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, geschlechtsneutralen Identitäten und alternativen Familienmodellen angepasst. Während sie nach wie vor den Wert der traditionellen Ehe betont, schließt sie alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, in die kirchliche Gemeinschaft ein. Dazu gehören selbstverständlich auch queere Menschen, weil sie schließlich so geschaffen sind wie sie sind – gut.

Auch die Geschlechterrollen innerhalb der Ehe wurden von den traditionell verhärteten Vorstellungen befreit. Ganz im Sinne einer Geschlechtergerechtigkeit gibt es keine geistige Rollenvorgabe mehr. Mann und Frau bringen sich nach ihren Neigungen und Fähigkeiten in die Beziehung ein.

Scheidung war früher nur im Durchlaufen eines langwierigen Verfahrens möglich, in dem die Ehe unter bestimmten Umständen für ungültig erklärt werden musste. Heute genügt ein geistliches Gespräch, in dem der Priester die Scheidungswilligen berät. Eine kirchliche Wiederheirat ist zwar noch nicht möglich, aber immerhin respektiert die Kirche, dass Menschen sich verändern und sich im Laufe der Zeit möglicherweise auch unterschiedlich entwickeln. So bleiben Geschiedene menschlich anerkannte Vollmitglieder der Gesellschaft und ganz besonders der Kirche.

Sexualmoral

Als wahrer Durchbruch galt damals die geistige Öffnung zu einer unbefangenen Sexualmoral.

Früher war Sexualität nur innerhalb der Ehe und nur zu Fortpflanzungszwecken erlaubt. Lust galt als Sünde und Homosexualität sowieso. Letzteres wurde noch nicht einmal ausgesprochen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) hinterfragte die Kirche ihre Haltung zur Sexualmoral, insbesondere in Bezug auf Themen wie Verhütung, Scheidung und Homosexualität. Eine vorsichtige Lockerung wurde immer wieder thematisiert, aber nie beherzt vollzogen.

Heute, 60 Jahre nach der Neufassung ihres ethischen Gerüstes, schämen sich die Oberhirten beinahe für ihre, na ja – geistig ziemlich festgefahrenen Vorgänger. Die Kirche hat sich in jeder Hinsicht geöffnet, so auch hinsichtlich ihrer Sexualmoral. Dank des aufgehobenen Zölibats und freier Gedanken mit dem Segen der Kirche sind Priester:innen auch ernst zu nehmende Ansprechpartner in Sexualfragen.

Queere Menschen dürfen sich outen, ohne auch nur gedankliche Konsequenzen zu befürchten. In Verhütungsfragen gibt es keine Reglementierung. Familienplanung ist nicht nur sinnvoll (in Teilen der dritten Welt gar existentiell), sondern absolute Privatsache und als solche respektiert. Die Geschlechterrollen sind auch in den Köpfen aufgehoben, der Zölibat ist Geschichte und die Geistlichen sind in der Lage, unbefangen über die früher so „schmutzigen“ Themen unbefangen und aus Erfahrung zu sprechen.

Die kontrovers, aber respektvoll diskutierten Themen der Zukunft sind Genetik, Fortpflanzungsmedizin und immer noch die Frage der Abtreibung.

Soziale Gerechtigkeit und Ökologie

Ein weiteres zentrales Anliegen der erneuerten Kirche ist die soziale Gerechtigkeit. Angesichts der globalen Herausforderungen, die durch Klimawandel, Migration, wirtschaftliche Ungleichheit und Kriege entstanden sind, setzt sich die Kirche verstärkt für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen ein. Ihre Moralvorstellungen haben sich dahingehend entwickelt, dass sie nicht nur individuelle ethische Fragen, sondern auch die Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit und damit der Schöpfung in den Vordergrund rückt. Umweltethik ist zu einem festen Bestandteil der kirchlichen Lehre geworden und nachhaltiges Handeln moralische Pflicht.

Heute setzen die Vertreter des Kirchenvolkes die Themen. Es sind gewählte Abgeordnete aus Gemeinden und Landesverbänden, die sich regelmäßig beraten und ihre Interessen in die Politik einbringen.

Das Verhältnis zur Wissenschaft

Die einstigen Spannungen zwischen Kirche und Wissenschaft haben sich weiter gelockert. Heute, 2100 erkennt die Kirche die wissenschaftlichen Fortschritte als essenziell für das menschliche Wohlergehen an und arbeitet aktiv mit Wissenschaftlern zusammen, um ethische Richtlinien für neue Entwicklungen zu formulieren. Religion und wissenschaftliche Erkenntnis werden nicht mehr als Gegensätze betrachtet. Die Kirche ist bereit, wissenschaftlich erwiesene Erkenntnisse in ihrer Lehre zu berücksichtigen. Dies gilt auch für theologische Erkenntnisse, da sich die Amtskirche nicht mehr scheut, überholte Lehren zurück zu nehmen.

Mystisches Weltverständnis

„Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der Gott erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein!“ (Karl Rahner 1904-1984)

Viele betrachten Jesus als Mystiker, da seine Lehren und Erfahrungen tief spirituelle und mystische Elemente enthalten. Jesu Sicht auf das Reich Gottes und seine intensive Verbindung zu Gott sind auch für mich mystische Kennzeichen. Er sprach in Gleichnissen und vermittelte dabei als spiritueller Wegweiser den Zugang zur göttlichen Gegenwart. Der deutlichste Hinweis auf Jesu mystisches Weltverständnis ist sein Ausspruch: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10,30).

Für christliche Mystiker ist die Einheit mit Gott schon im Diesseits möglich. Die Kirche hat jedoch oft vorsichtig oder sogar ablehnend auf solche Ansätze reagiert, weil sie schwer zu kontrollieren sind und das etablierte Lehrsystem hinterfragen. Der kirchliche Glaube setzt auf die Trennung von Gott und Mensch, auf eine lineare Heilsgeschichte: Schöpfung → Sünde → Erlösung → Paradies nach dem Tod. Mystik hingegen spricht von einem „Jetzt“, einer unmittelbaren Gegenwart Gottes, die jenseits von Konzepten liegt. Man könnte also sagen: Die Theologie erklärt Gott, die Mystik erfährt Gott.

Mystiker, die von der orthodoxen katholischen Kirche als Häretiker verfolgt wurden, waren oft diejenigen, deren Lehren oder Praktiken als unvereinbar mit der offiziellen Doktrin angesehen wurden (Meister Eckart 1260–1327, Johannes Tauler 1300–1361). Einige wurden sogar hingerichtet (Marguerite Porete 1250–1310, Jan Hus 1370–1415, Giordano Bruno 1548–1600).

Die mystische Sicht auf die Dinge hat die Vorstellung von Gott als einem personalen, allwissenden und allmächtigen Wesen hin zu einem transzendenten, sich entwickelnden Prinzip des Seins gewandelt. Gott wird nicht mehr als „außerhalb“ der Welt stehend betrachtet, sondern als integraler Bestandteil des Universums, als das Prinzip der Liebe, der Schöpferkraft und der Verbundenheit allen Lebens in uns, als Teil von uns. Mystische Übung durch Kontemplation ist heute fester Bestandteil in den Priesterseminaren.

Mystische Weltsicht beeinflusst natürlich auch den christlich-mystisch geprägten Alltag und zwar von den Gläubigen bis zum Geschehen auf allen Ebenen der christlichen Institution. Mit mystischem Verständnis verändert sich auch die kirchliche Praxis des Betens und der Gottesdienste. Mystik hat sich heute noch nicht in Gänze durchgesetzt, aber der Schwerpunkt in der Glaubenspraxis verlagert sich seit Jahrzehnten stetig vom Wort zum Erleben/Erfahren.

Offenbarung und Heilige Schriften

Das neue Testament wurde traditionell als historisches Zeugnis christlicher Offenbarung, d.h. als Selbstmitteilung Gottes an die Menschheit verstanden. Im langen Lauf der Zeit werden neue Schriften entdeckt und anerkannte Evangelien mit neuen Methoden auf ihre Authentizität überprüft. KI-gesteuerte Algorithmen können biblische Texte analysieren und Vergleiche zwischen verschiedenen Schriften ziehen. Dabei wurden immer wieder Übersetzungsfehler oder fiktive Zuspitzungen festgestellt und sogar Fälschungen entlarvt.

Die Bedeutung der Bibel hat noch aus einem anderen Grund ihren Stellenwert als absolute Wahrheit verloren: Durch kontemplativ-mystische Interessen und die sich daraus gebildeten Bewegungen haben sich die Schwerpunkte in der Glaubenspraxis verschoben. Viele sehen in der mystischen Betrachtung klarer, als es ihnen durch das Lesen von Bibeltexten möglich ist. Dennoch wird sie als Quelle der Weisheit immer noch hoch geschätzt.

Religiöse Praxis

Die Sakramente – Taufe, Eucharistie, Firmung, Buße, Krankensalbung, Weihe und Ehe – waren das Herzstück der katholischen Glaubenspraxis. Die exklusive Spende durch Priester überhöhte die Geistlichen und unterstrich die Bedeutung aus Kirchensicht als „sichtbares Zeichen unsichtbarer Wirklichkeit“. Aus heutiger Sicht könnte das gesamte Universum als Sakrament gelten. Die sieben früheren Sakramente sehen die Gläubigen heute als eine Segnung, die von jedem gläubigen Menschen ausgehen kann.

Die Gottesdienste noch bis 2040 überwiegend streng kategorisiert in „Eucharistiefeier“ und „Wortgottesdienst“ – gelten heute gleichwertig als „Feier des Lebens“. Da die Gottesdienste wegen des Mangels an hauptamtlichen Priestern meist von Laienpriester:innen aus den Reihen der Gemeinde geleitet werden, wird die Form dieser Gottesdienste zusehends vielfältiger und ideenreicher. Diese Vielfalt wird von der Mehrheit der Besucher als erfrischend wahrgenommen. Eine kurze Reflexion und (auch kritische) Anmerkungen, verbunden mit alternativen Vorschlägen, nimmt der Priester nach dem Gottesdienst als willkommenes Korrektiv dankbar an. Das führt zu besonders lebendigen Feiern mit hoher Präsenz und innig verbundener Gemeinschaft.

Für die Form der Gottesdienste gibt es zwar Vorschläge, aber jede/r Priester:in gestaltet die Feier nach eigenem Verständnis: als traditionelle Eucharistiefeier mit Segnung von Brot und Wein, als meditative Andacht in weitgehender Stille, als kontemplativen Gottesdienst mit geistigen Impulsen, als Schweigewanderung mit Feldgottesdienst usw.

Brauchen wir noch Dogmen?

Dogmen sind Glaubenssätze, die als unumstößliche Wahrheiten innerhalb der Kirche gelten. Sie wurden von Konzilien beschlossen oder vom Papst erlassen und von den Kirchenführern als „Offenbarung Gottes“ betrachtet. Kritiker sahen in dieser Sichtweise eine ungeheuerliche Anmaßung. Außerdem sahen sie die meisten Dogmen als menschliche Konstrukte, die im Laufe der Geschichte eher Machtstrukturen stabilisierten als dass sie den Glauben vertieften. Man besann sich also auf das Neue Testament und konzentrierte sich auf die Lehren und das beispielhafte Wirken Jesu und so stellte die Synode 2030 schließlich fest: „Unser Kompass ist die Bibel. Es ist vieles überliefert und wir können die meisten unserer Dogmen ersatzlos streichen. Die Welt braucht sie nicht“.

Jesus selbst lehrte keinen Dogmatismus, sondern lebte Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit. In seiner Bergpredigt (Matthäus 5-7) legte er Werte dar, die bis heute relevant sind. Dennoch dauerte es 20 Jahre, bis die von der Synode berufene „Kommission für die Kirchenlehre“ alle Dogmen kritisch hinterfragte und 2050 schließlich den Durchbruch verkündete. Damals galt es als eine Revolution. Heute, 50 Jahre danach ist es selbstverständlich, sich vom Evangelium als Lehrgrundlage und vom mystisch kontemplativen Geist leiten zu lassen. Von der Gemeinde bis zur Diözese erfahren die Leitungsgremien eine ungeplante, wundersame, geistige Erneuerung, die selbst die römische Kurie beeindruckt hat und bis in Gesellschaftskreise wirkt, die der Kirche noch fern sind. Der anfänglich entrüstete Aufschrei der Kleriker ist binnen weniger Jahre der Verwunderung darüber gewichen, wie sich die Kirchenfürsten derart über Jesus stellen konnten.

Beispielhaft stelle ich einige Dogmen heraus:

Unfehlbarkeit des Papstes

Hintergrund: 1870 wurde das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes auf dem Ersten Vatikanischen Konzil definiert. Rechtfertigung: Es sollte die Einheit der Kirche und die Reinheit der Lehre garantieren. Kritik: Kritiker bemängelten, dass dieses Dogma einer kritischen Auseinandersetzung mit der Lehre entgegensteht und einer demokratischen Kirchenstruktur widerspricht. 2050 ersatzlos gestrichen.

Unbefleckte Empfängnis Marias

Hintergrund: 1854 als Dogma verkündet, besagte es, dass Maria ohne Erbsünde empfangen wurde. Rechtfertigung: Es sollte Marias besondere Rolle als Mutter Jesu unterstreichen. Kritik: Theologen bemängelten, dass dieses Dogma biblisch schwer begründbar ist. 2050 ersatzlos gestrichen.

Leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel

Hintergrund: 1950 als Dogma formuliert, besagte es, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Rechtfertigung: Es betonte die herausgehobene Stellung Marias in der Heilsgeschichte. Kritik: Das Fehlen direkter biblischer Belege machte es für viele schwer akzeptabel. 2050 ersatzlos gestrichen.

Prädestination

Hintergrund: Die katholische Kirche lehrte eine gemilderte Form der Prädestination. Die Vorausbestimmung menschlicher Geschicke widersprach nicht der Eigenverantwortung des Individuums. Rechtfertigung: Gottes Allwissenheit schließt die freie Entscheidung des Menschen nicht aus. Kritik: Die Verbindung von freiem Willen und Vorherbestimmung bleibt problematisch. Aus mystischer Sicht schlicht Nonsens. 2050 ersatzlos gestrichen.

Existenz von Hölle und Fegefeuer

Hintergrund: Seit dem Mittelalter als ewiger Strafort definiert. Rechtfertigung: Sie dient als Konsequenz der freien Entscheidung gegen Gott bzw. als Reinigung vor dem Eintritt ins Paradies. Kritik: Biblische Belege sind schwach; viele Theologen lehnen die Vorstellung einer ewigen Verdammnis als unvereinbar mit Gottes Liebe ab. 2050 ersatzlos gestrichen.

Transsubstantiation und Eucharistie

Hintergrund: Die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Rechtfertigung: Es soll die „reale Gegenwart Christi“ in der Eucharistie ausdrücken. Kritik: Rational schwer erfassbar, von protestantischen Kirchen abgelehnt. Nicht mehr zwingend durch Priester zu spenden. 2050 ersatzlos gestrichen.

Sündenvergebung durch Priester

Hintergrund: Sakrament der Beichte als Weg zur Vergebung. Rechtfertigung: Es bietet eine spirituelle Heilung. Kritik: Kritiker fordern unterstützende Wege zu einer direkteren Verbindung zwischen Gläubigen und Gott, z.B. durch kontemplative Erfahrung. 2050 ersatzlos gestrichen.

Zölibat

Hintergrund: Regel seit dem Mittelalter. Rechtfertigung: Konzentration auf das Priestertum. Kritik: Wider die Natur, Mitverantwortung für Priestermangel und Missbrauchsskandale. 2050 ersatzlos gestrichen.

Keine Frauenordination

Hintergrund: Die Kirche argumentiert mit der Vorbildrolle Jesu. Rechtfertigung: Wahrung der (selbst gebrochenen) Tradition. Kritik: Zu Jesu Zeiten gab es Jüngerinnen, im Urchristentum Priesterinnen, Frauenbewegungen fordern Gleichberechtigung. 2050 ersatzlos gestrichen.

Vorrang der katholischen Kirche

Hintergrund: Andere christliche Gemeinschaften gelten als defizitär. Rechtfertigung: Die Kirche sieht sich als wahren Weg zum Heil. Kritik: Ökumenische Bewegungen fordern mehr Gleichwertigkeit. 2050 ersatzlos gestrichen.

Ehe als unauflösliches Sakrament

Hintergrund: Scheidung und Wiederheirat sind nicht erlaubt. Rechtfertigung: Schützt die Heiligkeit der Ehe. Kritik: Realitätsfern, besonders in komplexen Lebenssituationen. 2050 ersatzlos gestrichen.

Verbot der Empfängnisverhütung

Hintergrund: Enzyklika Humanae Vitae (1968). Rechtfertigung: Offenheit für neues Leben. Kritik: Verantwortungslos gegenüber modernen Herausforderungen. 2050 ersatzlos gestrichen.

Verurteilung von Homosexualität

Hintergrund: Offizielle Ablehnung homosexueller Beziehungen. Rechtfertigung: Natürliche Ordnung. Kritik: Widerspricht moderner Ethik und Menschenrechten. 2050 ersatzlos gestrichen.

All die genannten Veränderungen sind bereits ab 2040 in die reformierte Ausbildung der Priester:innen eingeflossen. Nur mit dem neuen Denkansatz konnte die Erneuerung der Kirche so erfolgreich gelingen.

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