Die Kirche der Zukunft
So kann es nicht weiter gehen! Meine persönliche Vision für die Kirche der Zukunft: Im Jahr 2100 sehe ich eine dynamische, spirituelle Bewegung mit zeitgemäßer Ethik und tief verwurzelter Menschlichkeit. Diese Kirche wird sich als interreligiöse, vielleicht sogar als globale Kraft ohne starre Dogmen demokratisch neu erfinden müssen – oder sie wird verschwinden.
Inhalt
Die Anamnese
Die zentralistisch-monarchische Kirchenführung der katholischen Kirche, geprägt durch die Autorität des Papstes und der Kurie in Rom, steht zunehmend im Spannungsfeld zwischen Tradition und den sich wandelnden Bedürfnissen der Gläubigen. Viele Katholiken in den Pfarreien fühlen sich von Rom entfremdet, was die Frage aufwirft, ob und inwieweit diese Struktur noch zeitgemäß ist.
Die Zahl der Kirchenaustritte bei beiden großen Kirchen steigt stetig, während es kaum noch Priesteramtskandidaten gibt. Die Bischöfe sind zum Handeln gezwungen. Doch anstatt die Ursachen der Krise zu bekämpfen, werden gewachsene Gemeinden zu anonymen Großpfarreien zusammengelegt. Ein Pfarrer hält nur noch alle vier Wochen einen Gottesdienst in der angestammten Gemeinde. Die Zeiten, in denen der Pfarrer seine „Schafe“ kannte und er die erste Anlaufstelle in Sachen Seelsorge war, gehören der Vergangenheit an.
Die Kirchen sind auf bestem Wege, zum sakralen Dienstleistungsunternehmen zu werden. Gleichzeitig gewinnen die Selbstverwaltung der Pfarreien, aber auch lokale Initiativen, religiöse Vereine und Sekten an Bedeutung. Die gegenwärtige Entwicklung lässt kaum Hoffnung auf ein Überleben der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland zu.
Die Therapie
Die Kirche des 22. Jahrhunderts wird entweder eine dynamische, spirituelle Bewegung ohne starre Dogmen, aber mit zeitgemäßer Ethik und tief verwurzelter Menschlichkeit sein – oder sie wird verschwinden. Sie wird sich als interreligiöse und post-dogmatische, vielleicht sogar als globale Kraft demokratisch neu erfinden müssen.
Diese Therapie bedeutet eine in der Kirchengeschichte nie dagewesene Radikalität der Erneuerung. Einzelne Reformen werden nicht ausreichen. Ob eine neue Weltkirche entstehen kann, ist zu bezweifeln. Zu schwerfällig ist insbesondere die katholische Kirche mit der machthungrigen Kurie in Rom. Wir können in den westeuropäischen Ländern beginnen, in denen die Erneuerung am nötigsten ist, zunächst in Deutschland. Die deutschen Bischöfe haben die Wahl und die Verantwortung, den Weg der radikal neuen Kirche auch ohne Zustimmung Roms mitzugehen oder ihre Kirche weiter verfallen zu lassen.
Eine wahrhaftige Erneuerung erfordert geistige Freiheit – ohne Denkverbote, Tabus und geistige Schranken aus dem römischen Machtzentrum. Die Unbeweglichkeit der Kirchenhierarchie hat bereits ein wachsendes Bedürfnis nach Veränderung geschaffen. Wie sich der Umbruch letztlich vollzieht, hängt maßgeblich von den Gläubigen und den Bischöfen ab.
Wir müssen nicht auf die Bereitschaft des Vatikans oder des Bischofs warten. Wir können in der kleinsten Einheit beginnen: Bei uns selbst und in unserer Pfarrgemeinde. Mit Glück unterstützt uns der Verwaltungspfarrer oder er toleriert unseren Weg zumindest. Vielleicht ist sogar der Bischof offen für einen lebendigen Glauben und eine Neuorganisation gemeinsam mit unserer Gemeinde. Eine Erneuerung innerhalb der Kirche ist allemal einfacher als der Aufbau einer völlig neuen religiösen Bewegung. Aber sind wir uns klar darüber: Beide Wege sind steinig und werden uns an unsere Grenzen bringen. Deshalb werden wir nur eine Chance haben, wenn wir zu vollem Einsatz bereit sind.
Die Fundamentalkatholiken mögen mir bei den nachfolgenden Gedanken Ketzerei vorwerfen. Doch ohne kritisches Hinterfragen der Kirche, ohne die innere Bereitschaft, ihr Handeln und die offiziell vorgeschriebene Glaubenslehre infrage zu stellen, ist weder eine tiefgreifende Erneuerung der Kirche noch eine lebendige Wiederbelebung des Glaubens möglich. Auch Jesus selbst stellte sich gegen die religiösen Autoritäten seiner Zeit – ohne diesen Widerstand gäbe es das Christentum nicht. Daher kann unser maßgeblicher Orientierungspunkt nur Jesus sein, nicht eine noch so ehrwürdige Institution.
Die geheilte Kirche
So lasst uns gemeinsam träumen von begeisterten Priestern und Kirchenführern, die die Menschen in ihrer Begeisterung mitreißen und im Glauben bestärken. Gönnen wir uns den Blick auf eine Gemeinschaft, die sich befreit hat von unchristlichen Dogmen, von Starrheit und Machthunger. Freuen wir uns für unsere Nachkommen auf eine wahrhaftige Glaubensgemeinschaft im Jahr 2100, die sich wieder dem Geist Christi zugewendet hat.
Wer diese neue Kirche sieht, wird auch den Weg dorthin finden, so steil er auch sein mag. Alles darf geträumt, gedacht und erprobt werden. Lasst uns darüber sprechen, uns beraten, gerne auch mit der Kirchenleitung, aber nicht mehr auf deren Segen wartend.
1. Geistige Erneuerung
Dogmatische Revolution
- Alle Dogmen sind menschliche Konstrukte. Das Vorbild Jesu und das Neue Testament sollten die Grundlage des Glaubens sein. Welche Dogmen braucht es dann noch?
- Mission durch Vorbild statt Dogmatismus – gelebter Glaube in der Gesellschaft. Jesus als beispielhafte Inspirationsfigur, nicht als dogmatische Rechtfertigung.
- Integration moderner Werte wie Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit
- Regelmäßige Überprüfung und Reform theologischer Grundlagen durch Ethik- und Theologiekommissionen.
Priesterausbildung reformieren
- Auswahl der Priesteramtskandidaten an neue Anforderungen angepasst: weniger fromm, dafür belastbar und den Menschen zugewandt. Weniger blinder Gehorsam, dafür mutig und innovativ der Seele folgend.
- Wesentlicher Bestandteil der Ausbildung ist (christliche) Mystik. Kontemplation und Meditation gehören zur Grundausbildung künftiger Priester. Die so gewonnene geistige Reife wird ihnen die künftige Arbeit erleichtern und sich als Segen für die Seelsorge erweisen.
- Gewinnung der Kandidaten durch aktive Jugendseelsorge. Begeisterung steckt an.
- Berufsbild angepasst: Selbstverständnis als Priester (mehr Demut, weniger Klerikalismus), Priester sind 2100 auch Organisatoren und Motivatoren zur Gemeindearbeit, die sie selbst nicht mehr bewältigen können.
- Lehre berücksichtigt radikal die Bedürfnisse und den Zeitgeist der Menschen. Theologischer Ballast ist abgeworfen, man lehrt mehr Theorie und Praxis in Menschenführung und Organisation.
Wissenschaft respektieren
- Theologie im Dialog mit Natur- und Sozialwissenschaften
- Stärkere Betonung der Schöpfungstheologie und ökologischen Verantwortung
- Unbequeme Erkenntnisse zulassen, respektieren und die Lehre entsprechend weiterentwickeln.
Vielfalt zulassen
- Vertiefung der christlichen Mystik und Förderung kontemplativer Spiritualität statt abstrakter Theologie.
- Neue Formen der Liturgie. Vielfalt und Phantasie beleben die Gottesdienste. Einführung moderner, interaktiver Gottesdienstformate, die Raum für persönliche Spiritualität, Musik, Kunst und digitale Elemente lassen.
- Seelsorge für andere Lebensrealitäten (Patchwork-Familien, LGBTQ+, Alleinerziehende)
- Regionale Innovationszentren: Einrichtung von Pilotprojekten, in denen alternative Gemeindemodelle erprobt werden (z. B. virtuelle Gemeinden, interkonfessionelle Netzwerke, partizipative Entscheidungsfindung).
- Intensiver interreligiöser und interdisziplinärer Dialog mit Theologen, Philosophen und Wissenschaftlern, um den Glauben an zeitgemäße Erkenntnisse anzupassen. Brückenbau zu anderen Glaubensrichtungen, insbesondere Islam, Buddhismus, Hinduismus.
- Einheitlicher Katechismus nur national, dabei aber kontinuierliche theologische Reflexion unter Einbeziehung der Gläubigen.
- Mehr Naturverbundenheit: Gottesdienste in Wäldern, Bergen, am Meer.
2. Organisatorische Neugestaltung:
Föderation statt Konfessionsspaltung
- Alle christlichen Kirchen vereinen sich in einer „Christlichen Föderation“
- Diözesen agieren weitgehend autonom, aber es gibt eine nationale, demokratisch geführte Instanz für Ethik, Theologie und gemeinsame Strategie.
- Regionale Kirchenzentren arbeiten interkonfessionell zusammen, um Einheit und Synergien zu fördern.
- Entscheidungen werden basisdemokratisch durch Laien und Geistliche gemeinsam gefällt.
- Evangelische und katholische Kirche sind in der „Christlichen Kirche“ vereint.
Klerus ist abgeschafft, Kirchenführung auf Zeit
- Priester und Bischöfe werden nicht mehr sakramental geweiht, sondern für bestimmte Zeiträume berufen.
- Massive Bildungsinvestition: Die Diözese qualifiziert Gemeindemitglieder, die bereit sind, bestimmte Ämter zu übernehmen. In entsprechenden Lehrgängen, möglicherweise auch in Digitalen Akademien können sich Interessierte weiterbilden (Seelsorge, Liturgie, Verwaltung, etc.).
- Demokratische Entscheidungsfindung durch Laien und Geistliche gemeinsam. Unabhängige Kontrollorgane begleiten die Verwaltung und schlichten umstrittene Entscheidungen.
Dezentralisierung, Verschlankung, Digitalisierung
- Die Kirchengemeinden bleiben weitgehend in ihrem ursprünglichen Zuschnitt, werden eher verkleinert als vergrößert, um Gemeinschaft zu erleichtern.
- Die Gemeinden verwalten sich selbst. Hauptamtliches Personal wird ggf. von der Gemeinde eingestellt und bezahlt. Auch Kirchengebäude und Immobilien sind ins Eigentum der Kirchengemeinde überführt und sind aus eigener Finanzkraft zu unterhalten. Entsprechend den neuen Aufgaben wird die Kirchensteuer neu verteilt.
- Die Diözesanverwaltung ist drastisch verschlankt und im wesentlichen auf Schulung (Seelsorge, Liturgie, Predigt, Verwaltung) und Beratung reduziert.
- Online-Befragungen zu neuen Vorschlägen und Ideen. Mitglieder können über digitale Abstimmungen bei wichtigen Entscheidungen aktiv mitbestimmen.
- Bürokratische Strukturen sind reduziert, indem man auf digitale Prozesse und Cloud-Lösungen setzt. Zentralfunktionen wurden in effiziente, regional verteilte Einheiten überführt.
- Verbindung von Spiritualität und Technologie wie z.B. VirtualReality-Gottesdienste, KI-geführte Meditationen und KI-unterstützte Predigten.
- Eine KI-gestützte „theologische Datenbank“ hilft bei Entscheidungsfindung und passt theologische Antworten an neue gesellschaftliche Herausforderungen an.
3. Kulturelle Transformation:
Kirchengebäude als multifunktionale Zentren
- Kirchen werden nicht mehr nur für Gottesdienste, sondern als soziale und spirituelle Treffpunkte genutzt.
- Orte für Meditation, Yoga, Musik, Kunst, Co-Working laden zum verweilen ein.
- Gebäude werden durch Architektur und digitale Technologien interaktiv gestaltet. Die Bestuhlung ist flexibel und für den jeweiligen Anlass anpassbar.
Junge Generationen im Zentrum
- Influencer-Pfarrer und digitale Glaubensgemeinschaften in den sozialen Medien.
- Christliche Festivals und Aktivitäten, die Musik, Nachhaltigkeit und Spiritualität verbinden.
- Spezielle Programme und Projekte, die junge Menschen in die Mitgestaltung einbeziehen, um so eine zukunftsorientierte, dynamische Kirchenlandschaft zu fördern.
4. Finanzielle und juristische Neuausrichtung:
Neue Finanzierungsideen
- Die Kirchensteuer ist Geschichte.
- Die Kirche finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden, Fundraising, Sponsoring, öffentliche Fördermittel, Events und Vermietung von Räumen.
- Kryptowährung „Christ-Coin“, digitale Klingelbeutel und ähnliches sind selbstverständlich. Automatisierte Ausstellung von Spendenquittungen hat sich durchgesetzt.
Kirche als Bürgerbewegung
- Kirchen wirken als ethische Berater für Regierungen, vielleicht sogar für Unternehmen.
- Die Kirche ist in Politik und Gesellschaft eine kraftvolle Interessenvertretung.
Juristische Neuausrichtungen
- Kirchenrecht ist drastisch verschlankt und dem Staatsrecht auf allen Ebenen untergeordnet.
- Überführung von Immobilien der Diözese ins Eigentum der Kirchengemeinde.
- Juristische Neuorganisation der Kirchengemeinde als eigenständiger, religiöser Verein oder unter dem „Dach“ der Diözese als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Jedoch faktisch eigenständig.
- Mögliche Mitgliedschaft durch ethische Haltung statt Taufe. In der Kirche als „ethische Allianz“ kann jede/r Mitglied werden, unabhängig von Religion. Die Mitgliedschaft erfordert Engagement für Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Gemeinwohl.
Am Anfang war das Wort…
Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dürfen wir nicht bei Worten und Gedanken stehen bleiben. Doch ist die Zeit reif für all diese Ideen? Bin ich damit allein? Bin ich tolerant gegenüber anders denkenden Menschen? So überzeugt ich von meiner Gottesbeziehung bin, so überzeugt sind andere von ihrer völlig anderen Gottesbeziehung und ihrer Sicht auf die Kirche. Ich muss es mir täglich laut vorbeten: Bei Glaubensfragen kann und darf sich niemand ganz sicher sein, sonst wäre ein Dialog auf Augenhöhe schwierig und eine gute gemeinsame Gemeindearbeit kaum möglich. Mir begegnen so viele Menschen, denen ihre Kirche zu altbacken, hierarchisch, arrogant und schwerfällig erscheint und die sich dringend eine Veränderung wünschen. Aber sie schaffen es nicht, sich von der „Obrigkeit“ zu lösen und die Geschicke ihrer Gemeinde selbst in die Hand zu nehmen.
Manche Gläubige haben auch schon versucht, in ihrer Gemeinde etwas zu verändern, haben Verantwortung übernommen und haben sich frustriert zurückgezogen, weil der Widerstand von vielen Seiten zu groß war. Sicherlich wird nicht jeder in der Gemeinde begeistert aufspringen und sofort mit anpacken. Was die Kirche über Generationen in die Köpfe gepflanzt hat, lässt sich im Alter nur schwer korrigieren – zumal es kaum ein Interesse gibt, die alten (Irr-)Lehren offiziell zu widerrufen.
Lass diese Gedanken wirken. Der Heilige Geist wird in dir etwas bewegen – gib ihm Zeit und folge seiner Führung. Tausche dich mit Freunden und Gemeindemitgliedern aus, vernetze dich mit Gleichgesinnten und diskutiert zunächst in kleinen Gruppen darüber, was möglich ist und was euch am Herzen liegt. In jeder Gemeinde gibt es noch viele Menschen der „alten Schule“, die lieber beten, als Verantwortung zu übernehmen. Und je höher die Instanz – Bistum oder gar der Vatikan – desto schwieriger wird Veränderung.
Beginnen wir zunächst in unserer Gemeinde mit behutsamen Veränderungen und bewahren uns den Mut und die Gewissheit, das Richtige im Sinne Jesu zu tun. Viel Erfolg!
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